Die globalen Öl-Lagerbestände sind bestenfalls eine Schätzung
Der historische Preisrutsch beim Öl hat die
Lagerbestände massiv anschwellen lassen. Das meiste schwarze Gold wird dabei in
Tanks in den Vereinigten Staaten oder anderen Industrieländern gelagert, die
sich dazu verpflichtet haben, über den Stand der Reserven zu berichten.
Allerdings sollen sich Millionen von Barrel an Orten befinden, die sich dem
wachsamen Augen der Industriebeobachter entziehen.
Einige Länder, darunter China und Russland, haben sich entschieden, nicht
über ihre Bevorratungsmengen zu informieren. Auch Händler und Ölkonzerne, die
ihre Supertanker geparkt haben, sind nicht dazu verpflichtet, über die
eingelagerte Menge Auskunft zu erteilen. Das führt zu einem rätselhafterem und
volatilem Ölmarkt. Denn wieviel Rohöl sich an diesen Orten befindet und wie
schnell das Öl auf den Markt geworfen werden kann, könnte den Ölpreis erheblich
beeinflussen.
"Die Daten an sich sind so widersprüchlich", sagte Harish Sundaresh,
Portfoliomanager und Rohstoffstratege bei der Investmentfirma Loomis, Sayles &
Co, die 240 Milliarden Dollar verwaltet. "In Ländern wie Nigeria, Brasilien und
Angola kann man diesen Angaben nicht vertrauen", so Sundaresh weiter.
Blackbox Singapur
Auch weil die Industrienationen mehr Öl lagern und konsumieren, wird es immer
komplizierter, die Lagerbestände im Auge zu behalten. So hat beispielsweise der
Stadtstaat Singapur einen der weltweit größten Häfen und ist das Zentrum vieler
großer Ölhandelsfirmen. Nach Einschätzung von Analysten gehört Singapur aber zu
den Ländern, die verwirren.
Die Wasserstraßen rund um Singapur haben sich zu
einer der größten Lagerstätten für Öl entwickelt. Es ist aber unklar, wieviel
Öltanker hier festgemacht haben.
Nach dem Schiff-Tracking-Service von Thomson Reuters sollen Anfang Juni 23
Supertanker mit einem Fassungsvermögen von 43 Millionen Barrel Öl für einen
Monat oder länger vor Singapur geankert haben. Das wäre verglichen mit dem
Jahresstart eine deutliche Zunahme, denn damals sollen es nur 15 Supertanker
gewesen sein.
Sollten alle Schiffe, die im Juni vor Singapur lagen, einen
vollen Tank gehabt haben, dann könnte mit der Menge die US-Ölnachfrage für zwei Tage bedient werden.
Über das Öl ist aber keine offizielle Angabe verfügbar. Die Schätzungen von
Thomson Reuters und anderen basieren lediglich auf dem berichteten Seeweg eines Schiffes.
So könnten einige Schiffe zwar Kraftstoff, ein raffiniertes Produkt,
das auch in der Schifffahrt eingesetzt wird, transportieren. Andere könnten
aber auch nur Seewasser im Tank haben, sagten Analysten, was die Prognosenzusätzlich erschwert.
Tom Bonehill, Managing Director bei der Schifffahrtslinie
Norstar, erklärte, es gebe verschiedene Zahlen in Bezug auf die Menge der
Schiffe, die tatsächlich für die Lagerung benutzt werden.
Die Lagerbestände nehmen eine immer größere Rolle ein, seitdem die
Organisation Erdöl exportierender Länder (Opec) ihre traditionelle Aufgabe -
nämlich die Preisgestaltung - vernachlässigt hat, erklärten Analysten. Seit
November 2014 hat die Opec die Förderung erhöht und produziert nun nahezu am
Limit. Dadurch hat die Opec nur sehr wenig Reservekapazität. Das heißt, die
Lagerung wird immer entscheidender für den Fall, dass das Angebot an anderer
Stelle unterbrochen wird.
Opec ist kein "Swing-Supplier" mehr
Für Antoine Halff, Experte für Ölwirtschaft der Columbia University, ist die
Opec inzwischen kein "Swing-Supplier" mehr. Ein Swing-Supplier passt seine
Angebotsmenge an die Wirtschaftslage an. "Angesichts der Unsicherheit darüber,
ob die US-Schieferölproduktion die Rolle eines Swing-Suppliers einnehmen kann,
hängt es an den Lagerbeständen, die Barrel-Lücke bei einem Versorgungsengpass
zu schließen", erklärte Halff weiter.
Angesichts nur weniger harter Daten zu einigen Lagerstätten, stückeln die
Analysten ihre Angaben zu den Reserven aus einigen öffentlichen Informationen
und Mutmaßungen zusammen. Die Ungewissheit im Zusammenhang mit den
Lagerbeständen wurde nach den Attacken auf die nigerianischen Förderanlagen im
Mai und Juni deutlich. Nach den Angriffen sagten einige Analysten einen
Rückgang der Ölförderung in Nigeria voraus, was einen Anstieg des Ölpreises auf
über 50 US-Dollar je Barrel unterstützte. Allerdings zeigten die maritimen
Transportdaten, die von dem Analyseunternehmen Windward zur Verfügung gestellt
wurden, dass die nigerianischen Exporte sich kontinuierlich oberhalb von 1,5
Millionen Barrel täglich gehalten haben.
"Woher kommen die Exporte? Das ist die große Frage", sagte Omry Hochberg,
Finanzproduktmanager bei Windward. "Kommen sie aus den Lagerbeständen oder ist
die Förderung doch höher als gedacht?", so Hochberg weiter. Nigeria hat
schlussendlich im Juli die Lagerbestände beziffert, das war aber Wochen nach
den Angriffen. Vom staatlichen Ölkonzern Nigerian National Petroleum Corp war
kein Kommentar zu dem Thema erhältlich.
Länder außerhalb der OECD mit großer Öl-Nachfrage
Die Joint Organizations Data Initiative (JODI) - als Kooperation aus Apec,
Eurostat, IEA, IEF, OLADE and Opec - sammelt weltweite Daten zu den
Öllagerbeständen. Doch JODI hat keine Zahlen aus China, Russland und anderen
Ländern. Einige Länder hätten keine Ressourcen zur Sammlung dieser Daten und
sähen dies auch nicht als Top-Priorität an, erklärten Experten. Und diese
Länder haben einen großen Hunger nach Öl. Die Länder außerhalb der Organisation
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sind für die Hälfte
der weltweiten Ölnachfrage verantwortlich. Vor einem Jahrzehnt lag die Zahl
noch bei 41 Prozent.
David Fyfe, Chef der Marktforschung bei der Handelsfirma Gunvor Group, merkte
an, dass diese Entwicklung nicht mit einer entsprechenden Zunahme bei der
Berichterstattung über die Lagerbestände einhergegangen ist. "Das erhöht die
Undurchsichtigkeit für den Markt", sagte Fyfe. Zudem geben die Länder auch
keine Daten zu den "schwimmenden Lagern" oder den Tankern, die vor den Küsten
liegen wie vor Singapur, heraus. Die Internationale Energie Agentur (IEA)
sagte, die "schwimmenden Lager" seien im Juni auf 95 Millionen Barrel
gestiegen. Das ist laut IEA der höchste Stand seit 2009.
In China entfaltet sich gerade ein weiteres Lager-Mysterium: Die Daten der
Regierung legen offen, dass die Ölimporte schneller steigen, als dass sie von
den Ölraffinerien verarbeitet werden können. Das deutet darauf hin, dass China
einen Öl-Überschuss von 160 Millionen Barrel in der ersten Jahreshälfte
angehäuft hat. Damit könnte China seinen Eigenbedarf für zwei Wochen decken.
Analysten schätzen, dass diese Barrel in Tanks der Händler oder der Regierung
lagern.
Diese Unterscheidung ist wichtig. Denn wenn das meiste Öl in strategische
Reserven fließt, dann könnte die Nachfrage sinken, sobald die Speicher voll
sind. Einige Analysten glauben, dass wird in diesem Jahr der Fall sein. Doug
King von RCMA Asset Management sagte: "
Die Realität ist, dass man keine
definitiven Zahlen hat, die für großes Vertrauen sorgen."
Hinweis nach §34b WpHG zur Begründung möglicher Interessenskonflikte: Der Verfasser von o.g. Beitrag kann Short- und/oder Long-Positionen in der/den behandelte(n) Aktie(n) halten.