Alaskas zweiter Goldrausch (EuramS)
Der Run auf Nuggets im hohen Norden – mit Hightech-Bohrern und 500-Tonnen-Trucks. Wie Anleger am neuen Fieber ganz cool verdienen.
von Peter Gewalt, Fairbanks
Rose Lewis hat dasselbe fieberhafte Verlangen gepackt, dem schon so viele in Alaska erlegen sind. Die Augen starr auf beide Hände gerichtet, füllt die US-Amerikanerin behutsam ein wenig Wasser aus einem hölzernen Trog in ihre mit Sand und Gestein gefüllte Schüssel. Dann schwenkt die Kalifornierin vorsichtig das zerkratzte silberfarbene Behältnis mit kreisrunden Bewegungen.
Dieses Ritual wiederholt sie schweigsam minutenlang. Erst dann sind alle Steinchen und der sandige Bodensatz herausgeschwemmt. Am Ende glitzern nicht nur einige reiskorngroße Goldplättchen am Boden der Pfanne, sondern auch Roses Augen vor Freude. Für dieses Erlebnis sind die pensionierte Grundschullehrerin und ihr Mann im Wohnmobil Tausende Kilometer zur Eldorado-Goldmine nördlich der Stadt Fairbanks in Alaska gefahren.
Die zierliche Rentnerin mit den schwarz gefärbten Haaren war beim Goldwaschen nicht allein. Etwa 100 weitere Touristen dürfen ebenfalls ein goldenes Souvenir in einer Filmpatrone mit nach Hause nehmen. Der Wert des Inhalts schwankt zwischen zehn und 20 Dollar. Kein wirklich guter Deal bei Eintrittspreisen von 35 Dollar für den Minenbesuch, wobei das Säckchen goldhaltiger Erde zum Auswaschen im Preis inbegriffen ist.
Das Geschäft läuft dennoch prächtig. Busweise werden Besucher zweimal täglich herangekarrt, Reservierung wird empfohlen. Denn das gelbe Metall hat mächtig an Popularität gewonnen, seit sich die Preise in den vergangenen fünf Jahren mehr als verdreifacht haben. Die steigende Nachfrage aus den Schwellenländern, die Schwäche des Dollars und Probleme bei der Förderung haben Gold zu einem fulminanten Comeback verholfen. Und im hohen Norden der USA, wo vor über 100 Jahren schon einmal ein legendärer Run auf die Nuggets stattgefunden hat, ist die neu gewonnene Anziehungskraft des Edelmetalls besonders zu spüren.
"In Alaska ist ein zweiter Goldrausch ausgebrochen", erklärt Richard Hughes, Bergbauexperte beim Ministerium für die wirtschaftliche Entwicklung Alaskas. Denn nicht nur Amateure wie Rose Lewis, auch immer mehr Profis wie Jeff Pontius sind dem Lockruf des Goldes im hohen Norden Amerikas erlegen. Der gedrungene Geologe aus Colorado arbeitet aber nicht mit Pfanne und Wasser, sondern mit Landkarte und schwerem Bohrgerät. Als Chef des kanadischen Explorationsunternehmens International Tower Hills (ITH) gibt er sich auch nicht mit ein paar Gramm Gold zufrieden. Ein paar Hunderttausend Unzen (je 31 Gramm) sollten es schon sein, damit Pontius’ Herz höherschlägt. Seit 28 Jahren ist der 54-Jährige schon im Geschäft, mehrere große Goldlagerstätten hat er in seiner Karriere für diverse Minenfirmen in Nordamerika schon ausfindig gemacht.
Pontius’ größte Hoffnungen in Alaska ruhen derzeit vor allem auf einem 40 Quadratkilometer großen Projekt namens Livengood, das nur ein Fahrstunde vom Touristenmekka Eldorado entfernt liegt. Der Weg dorthin führt von Fairbanks weg auf dem Dalton Highway Richtung Norden. Nach 80 Kilometern macht der Geologe in kariertem Hemd und verwaschenen Jeans auf einer ungeteerten Abzweigung auf einem bewaldeten Hügel halt und steigt aus. Birken und Fichten säumen den Weg, der Tundraboden ist von ausgetrocknetem Moos bedeckt. Nuggets sind keine zu entdecken, nur haufenweise schwarze Brocken, die von Pontius als Verdauungsreste vorbeiziehender Elche identifiziert werden.
Nach einigen Metern Fußmarsch wird Pontius’ Interesse von einem Bohrgerät in der Größe einer Planierraupe in Beschlag genommen, dessen Gestänge sich unter ohrenbetäubendem Lärm des Dieselmotors immer tiefer ins Berginnere dreht. In regelmäßigen Abständen spritzt am unteren Ende der zehn Meter langen Bohrvorrichtung Schlamm heraus, der aus Hunderten Metern Tiefe an die Erdoberfläche gelangt. Zwei Männer kontrollieren die eine Million Dollar teure Maschine. Einer der behelmten Helfer verpackt das Gestein in einen nummerierten Sack, der später auf seine mineralogische Zusammensetzung analysiert wird.
"Drei Millionen Unzen Gold haben wir durch Bohrungen wie diese nachweisen können", sagt Pontius. "Es fehlt nicht mehr viel, und das Projekt könnte für eine kapitalstarke Goldfirma richtig interessant werden." Dafür sollen auf einem quadratkilometergroßen Gebiet noch 150 Löcher mit einer Gesamttiefe von 45 000 Metern gebohrt werden. Kosten der Drillorgie: 7,5 Millionen Dollar allein in diesem Jahr. Bis zu 24 Stunden am Tag wird daher bis Dezember der Boden durchlöchert, wobei hier im Norden der USA zum Glück für die Driller die Sonne in den Sommermonaten nicht untergeht.
Die Zeit drängt: Schon haben Geologenteams namhafter Firmen wie Anglo Gold ihren Besuch angekündigt, um die Erfolgsaussichten Livengoods zu prüfen. Und es ist ein offenes Geheimnis, dass die Großen der Branche weltweit auf der Suche nach vielversprechenden Lagerstätten sind. Barrick Gold, Newmont Mining und Anglo Gold haben mit sinkenden Produktionszahlen in den etablierten Fördernationen wie Südafrika zu kämpfen. Neue und gute Projekte sind rar gesät, die Taschen der Firmen aber dank des Rohstoffbooms gut gefüllt.
Sollte einer dieser kapitalen Fische anbeißen, dann winkt den Aktionären von ITH, aber auch Pontius selbst der große Reibach. Neun Prozent des Unternehmens liegen in der Hand des Managements. Dafür wühlen sich Jeff und seine Angestellten seit Jahren durch die Permafrostböden Alaskas, ertragen im Winter minus 50 Grad und im Sommer dichte Moskitoschwärme.
Dafür lässt sich der Vater von zwei Kindern in klapprigen Kleinflugzeugen von Fallwinden durchschütteln, wenn er über die schneebedeckten Gipfel der Gebirgskette Alaska Range fliegt – auf dem Weg zu einen der neun teils weit abgelegenen ITH-Ländereien. Vor Ort kann Pontius Hobby und Beruf verbinden: "Es gibt nichts Schöneres für mich, als meinen Rucksack zu packen, die Gebirgszüge entlangzuwandern und mir Gestein anzuschauen."
Pontius ist keineswegs der einzige Glücksritter, der in den Weiten Alaskas unterwegs ist. Nova Gold, Alix Resources oder Senator Minerals sind nur einige Namen von Explorationsfirmen, die hier ihr neues Eldorado sehen. Die kleinen Firmen übernehmen das große Risiko der Finanzierung von Projekten mit unsicheren Erfolgsaussichten. Häufig kommen die Trüffelschweine der Minenindustrie aus Vancouver, da dort vergleichsweise einfach an Wagniskapital zu kommen ist.
Bergbauexperte Hughes, der die Minenindustrie im nördlichsten Bundesstaat der USA beobachten und fördern soll, sieht das Treiben der Geologen mit großem Wohlwollen. "Die Explorer kommen mit sehr gut ausgebildeten Mitarbeitern, die zudem viel Erfahrung in der Bergbauindustrie mitbringen", sagt er. "Sie finden häufig sehr aussichtsreiche Lagerstätten." Angesprochen auf die aktuelle Lage von Alaskas Goldbranche, huscht ein zufriedenes Lächeln über Hughes’ Gesicht. "Das Geschäft boomt."
4000 Jobs und neun Prozent der Wirtschaftsleistung des Bundesstaats hängen von Alaskas Bergbaubranche ab. Wichtig für eine Region, die im Vergleich zu anderen US-Bundesstaaten unter hoher Arbeitslosigkeit zu leiden hat. Der Wind hat sich gedreht, seit der Sektor in den 80er-Jahren wegen der niedrigen Notierungen der Bodenschätze daniederlag. Bei dem derzeitigen Preisniveau können Firmen einen ordentlichen Gewinn erwirtschaften, obwohl die Förderkosten in Alaska durchschnittlich bei rund 450 Dollar je Unze Gold liegen.
Hughes wirft einen Blick auf den Bildschirm seines Computers, um Fakten über die rasante Entwicklung von Alaskas Minenindustrie abzulesen. "Allein die Explorationsausgaben für Edelmetalle haben sich in den vergangenen Jahren zweistellig erhöht", sagt er und fügt stolz hinzu: "1980 wurden gerade mal ein paar Millionen Unzen Gold in Alaskas Boden als Reserven aufgeführt, 2005 waren es schon über 140 Millionen Unzen im Wert von knapp 13 Milliarden Dollar."
Von einem Milliardengeschäft ist in Hughes’ spartanisch eingerichtetem Büro im Zentrum von Fairbanks wenig zu spüren. Auch die 80 000 Einwohner zählende Stadt, die stolz den Beinamen "Golden Heart City" trägt, hat nicht viele Reize zum Glänzen. Triste Betonbauten, riesige Shopping Malls und vierspurige Highways prägen das Stadtbild. Hughes arbeitet nur wenige Hundert Meter vom Tanana River entfernt, dem das Städtchen seine Existenz zu verdanken hat.
Am Ufer des Flusses landeten Anfang des 20. Jahrhunderts Flussdampfer mit Gütern für die Goldsucher, die in der Umgebung von Fairbanks auf Nuggets gestoßen waren. Damals wie heute profitiert die Stadt vom Goldrausch.
Den Aufschwung spürt die University of Fairbanks, die von den Rohstofffirmen reichlich mit Spenden bedacht wird und dafür qualifizierte Geologen liefert, aber auch die Dienstleister wie Caterpillar, die schweres und teures Arbeitsgerät verkaufen. Das Gaststättengewerbe darf ebenfalls frohlocken. Die Bar Pump Station etwa hat sich zum bierseligen Zentrum für Geologen und Bohrexperten in den kalten dunklen Wintermonaten entwickelt. "Hier trifft man Kollegen und redet über die Neuigkeiten der Branche", sagt Pontius.
Immer mehr Goldsucher sind es, die kommen. Inzwischen tummelt sich das Who’s who der globalen Industrie in Alaska. Barrick Gold, die Nummer 1 der Branche, verkündete erst vor wenigen Tagen den Abbau einer knapp 20 Millionen Unzen umfassenden Lagerstätte, der gemeinsam mit dem Explorer Nova Gold 2012 gestartet werden soll.
Selbst Vorkommen mit geringem Goldgehalt sind dank der Preisrally äußerst lukrativ. So verdient sich Kinross Gold an einer Mine mit dem verheißungsvollen Namen Fort Knox die sprichwörtlich goldene Nase.
Vom Flugzeug aus erscheint die knapp 70 Kilometer von Fairbanks entfernte Goldmine wie ein riesiger Bombenkrater inmitten der bewaldeten Hügelketten, am Boden macht der Blick in die 500 Meter tiefe Goldgrube einen schwindeln. Seit Jahren buddeln sich hier Riesenkräne immer tiefer in die Erde, quälen sich massige Caterpillar-Trucks, die beladen jeweils knapp 500 Tonnen auf die staubige Straße bringen, aus dem gigantischen Loch heraus.
Jeden Tag werden auf diese Weise über 40 000 Tonnen Gestein mit niedrigem Goldgehalt aus dem Boden geholt. Täglich werden in den Werkshallen auf dem Gelände meterhohe Trommeln angeschmissen, in denen Felsbrocken mithilfe faustgroßer Eisenkugeln zermalmt werden. Und der Aufwand zahlt sich aus, obwohl vor allem die gestiegenen Energiepreise die Förderkosten stark in die Höhe getrieben haben. Am Ende jeden Tages werden rund 1200 Unzen Gold im Wert von einer Million Dollar in den Tresor von Kinross eingefahren.
Doch schon gibt es ein neues Projekt, das selbst die Dimension von Fort Knox in den Schatten stellen könnte. Schätzungen zufolge lagern westlich von Anchorage im sogenannten Pebble-Projekt Gold und Kupfer im Wert von 500 Milliarden Dollar. Der Bau der zweitgrößten Tagebaumine der Welt durch die Firma Northern Dynasty würde den Goldrausch in Alaska wohl noch einmal richtig anfeuern.
Doch möglich ist ebenso, dass am Ende des Jahres Katerstimmung herrscht. Das Milliardenprojekt wird von Umweltschützern heftig bekämpft, eine im Herbst anberaumte landesweite Abstimmung könnte die Rahmenbedingungen für Bau und Betrieb von Minen aller Art in Alaska erheblich verschärfen. Rose Lewis kann allerdings aufatmen: Die Eldorado Gold Mine ist davon nicht betroffen.
http://www.ithmines.com/i/maps/2008-06-26_NRM.jpg