AUSBLICK: EZB vor erster Zinsanhebung seit gut einem Jahrzehnt
FRANKFURT (dpa-AFX) - Die Europäische Zentralbank (EZB) steuert auf ihre erste
Zinsanhebung seit mehr als einer Dekade zu. Am heutigen Donnerstag (21. Juli)
dürfte der EZB-Rat den Einstieg in die geldpolitische Straffung beschließen.
Fraglich ist allerdings, wie stark die Anhebung ausfällt. Eine Anhebung um 0,25
Prozentpunkte gilt angesichts starker EZB-Signale als ausgemachte Sache.
Allerdings ist auch ein deutlicherer Schritt um einen halben Prozentpunkt nicht
ausgeschlossen. Medienberichte deuten darauf hin, dass diese Option zumindest
in Erwägung gezogen wird.
In jedem Fall steuert die Europäische Zentralbank auf ihre erste
Zinsanhebung seit elf Jahren zu. Darüber hinaus warten Marktteilnehmer
händeringend auf Neuigkeiten zu einem neuen Instrument, mit dem die
Kapitalmarktzinsen in der Eurozone begrenzt werden sollen. Hintergrund sind
zeitweise deutlich auseinanderlaufende Marktzinsen zwischen den einzelnen
Euroländern. Die EZB sieht darin eine Beeinträchtigung ihrer Geldpolitik und
will dagegen vorgehen.
Mit dem erwarteten Einstieg in die geldpolitische Straffung kämpft die EZB
gegen die hohe Inflation an, die mit deutlich mehr als acht Prozent gegenwärtig
so hoch liegt wie noch nie seit Einführung des Euro um die Jahrtausendwende
herum. Obwohl das mittelfristige Inflationsziel der EZB seit langem
überschritten wird, handeln die europäischen Währungshüter vergleichsweise
spät. Andere große Zentralbanken wie die US-Notenbank Fed oder die britische
Notenbank haben ihre Leitzinsen schon wesentlich früher angehoben.
Angesichts der hohen Inflation und der späten EZB-Reaktion wird an den
Märkten schon seit längerem diskutiert, ob die Notenbank nicht mit einem
größeren Zinsschritt um 0,5 Prozentpunkte in die Straffung einsteigen könnte.
Wegen der hohen Inflation ist ein solcher Schritt nicht auszuschließen. Selbst
EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat die Möglichkeit zuletzt angesprochen,
etwa falls sich die Inflationserwartungen aus ihrer Verankerung lösten. Die
Steuerung der erwarteten Inflation spielt in der modernen Geldpolitik eine
entscheidende Rolle.
Auf der anderen Seite ist derzeit nicht klar, ob sich im EZB-Rat eine
Mehrheit für einen großen Zinsschritt findet. Bisher haben sich dafür nur
solche Notenbanker ausgesprochen, die für eine besonders straffe geldpolitische
Haltung bekannt sind. Dazu zählen die Zentralbankchefs aus den Niederlanden und
Österreich, Klass Knot und Robert Holzmann. Ein Argument für einen vorsichtigen
Einstieg lautet dagegen, dass man erst die Reaktion der Finanzmärkte abwarten
wolle, bevor man auf der nächsten Sitzung im September entschiedener vorgehen
könne.
Ein weiterer Punkt spricht für ein vorsichtiges Vorgehen: Nach Ansicht
vieler Ökonomen sind Europa und der Währungsraum wesentlich stärker durch den
Ukraine-Krieg betroffen als andere große Wirtschaftsräume wie beispielsweise
die USA. Als entscheidender Grund gilt die hohe Abhängigkeit Europas von
Energielieferungen aus Russland, die möglicherweise bald komplett wegfallen
könnten. Kritisch ist vor allem der hohe Anteil russischer Erdgaslieferungen,
da ein Ersatz - soweit kurzfristig überhaupt möglich - teuer ist und daher die
hohe Inflation weiter anheizen würde.
Darüber hinaus argumentieren vor allem EZB-Kritiker, dass die Zentralbank
Rücksicht auf schwächere Euroraum-Mitglieder nehmen müsse. Hier fällt das
Scheinwerferlicht umgehend auf Italien, wo die Regierung des weithin
angesehenen Ministerpräsidenten Mario Draghi wahrscheinlich vor dem Aus steht.
Zwar haben die Finanzmärkte bisher eher besonnen auf das politische Risiko in
Italien reagiert. Das dürfte aber auch daran liegen, dass die EZB Abhilfe im
Fall von Turbulenzen in Aussicht gestellt hat.
Denn die Notenbank arbeitet an einem neuen Instrument, mit dem
"ungerechtfertigte" Zinsanstiege im Euroraum verhindert werden sollen. Mit
einer ähnlichen Argumentation hatte der damalige EZB-Chef Draghi im Jahr 2012
seine legendäre Euro-Garantie "Whatever it takes" abgegeben. Ganz so
geschichtsträchtig dürfte es dieses Mal wohl nicht werden. Zumal sich Experten
unsicher sind, wie weit die Arbeiten an dem "Antifragmentierungstool" überhaupt
gediehen sind. Sie erhoffen sich aber zumindest einige Neuigkeiten, wie die EZB
gegen das Auseinanderdriften der Kapitalmarktzinsen vorgehen will./bgf/la/stk