ThyssenKrupp: Befreiungsschlag mit Schönheitsfehler
von Kathrin Dörfeld
Liebe Leserin, lieber Leser,
die Aufräumarbeiten beim angeschlagenen Industriekonzern ThyssenKrupp machen Fortschritte. Im Kartellstreit mit der Deutschen Bahn kommen die Essener vermutlich mit einem blauen Auge davon. Und auch bei dem seit eineinhalb Jahren geplanten Verkauf der Übersee-Stahlwerke scheint nun eine Lösung in greifbarer Nähe. Thyssen-Chef Heinrich Hiesinger setzt alles daran, den Stahlriesen aus dem DAX-Index Millimeter für Millimeter wieder zurück in die richtige Spur zu bringen. Aktuell befindet sich das Unternehmen in exklusiven Verhandlungen über den Verkauf der Fabrik im US-Bundesstaat Alabama. Dafür verschob der Konzern sogar überraschend die für heute geplante Vorlage der Bilanz des Geschäftsjahres 2012/13 auf Anfang Dezember. Analysten schließen daraus, dass eine Einigung hinsichtlich der Übersee-Sparte unmittelbar bevorsteht.
Lösung mit Schönheitsfehler
Die Stahlwerke in Übersee haben ThyssenKrupp in eine tiefe Krise gestürzt. Die Kosten für den Bau der beiden Fabriken in Brasilien und Alabama beliefen sich am Ende auf satte 13 Mrd. Euro - geplant waren ursprünglich nur 3,6 Mrd. Euro. Große Teile des Eigenkapitals wurden aufgezehrt, die Schulden schwollen bereits auf mehr als 5 Mrd. Euro an. Mit 8% besitzt der Industriekonzern die schlechteste Eigenkapitalquote im DAX. Allein in diesem Geschäftsjahr haben die Amerika-Werke fast 1 Mrd. Euro verbrannt.
Eine Lösung scheint aber in Sicht: Wie ThyssenKrupp gestern mitteilte, werden derzeit exklusive Verhandlungen über den Verkauf der US-Werke geführt. Einen kleinen Schönheitsfehler gibt es dabei allerdings: Bei den Verhandlungen geht es nur noch um den Verkauf des Weiterverarbeitungswerks in Alabama, welches die Düsseldorfer SMS Group gebaut hat und voll funktionsfähig ist. Bei dem Kaufinteressenten handelt es sich allem Anschein nach um ein von Weltmarktführer ArcelorMittal angeführtes Konsortium. Die Unternehmen dementierten das nicht. ArcelorMittal selbst bestätigte sein anhaltendes Interesse an dem Werk. Der Preis könnte sich zwischen 1,5 und 2 Mrd. Dollar bewegen.
Problemfall Brasilien: Keine Goldgrube - Aber der Klotz am Bein wird zusehends leichter
Damit gibt Hiesinger seinen Plan, sich von beiden Werken im Doppelpack zu trennen, nach der vergeblichen Suche nach einem potenziellen Interessenten endgültig auf. Das Problemwerk in Brasilien, in dem immer neue Baufehler auftauchen, die bis heute einen reibungslosen Betrieb unmöglichen machen, bleibt den Essenern vorerst als Klotz am Bein erhalten. Um die Auslastung dieses Werks zu sichern und eine neuerliche Abschreibung zu vermeiden, will der Ruhrkonzern allerdings den Käufer der US-Anlage zu einer langfristigen Abnahme des Stahls aus Brasilien verpflichten. Dadurch solle eine "wertsichernde Lösung" für das brasilianische Werk erreicht werden, hieß es.
"Bei näherem Hinsehen ist Hiesingers Form der Schadensbegrenzung akzeptabel. Die wesentlichen Baufehler in Brasilien, die eine chinesische Firma verursacht hat, konnten die konzerneigenen Anlagenbauer von ThyssenKrupp inzwischen beheben. Intern geht man davon aus, dass die Anlage in Brasilien bald fehlerfrei läuft und mittelfristig auch keine Verluste mehr schreibt. Dafür sprechen mehrere Gründe: Erstens soll das Mittal-Konsortium sich dem Vernehmen nach verpflichten, größere Mengen des Werkes dauerhaft abzunehmen - damit dürfte die Auslastung gesichert sein. Zweitens wurde die brasilianische Landeswährung zuletzt deutlich abgewertet, der Höhenflug der vergangenen Jahre hat sich als Blase erwiesen. Damit wird die Thyssen-Produktion in Brasilien unter dem Strich billiger. Drittens investieren nicht nur deutsche Konzerne wie BMW, Daimler, Volkswagen und E.ON gerade kräftig in Brasilien, sondern auch die heimische Industrie wächst. Damit steigt dort der Stahlbedarf. All das macht aus dem Katastrophenwerk keine Goldgrube. Aber aus Sicht der meisten Analysten ist der Plan "Eigensanierung" immer noch besser als das Werk zu verramschen und weitere Milliarden abschreiben zu müssen", schreibt Thomas Reisener von RP-Online.
Dem Handelsblatt zufolge will ThyssenKrupp aber nicht ewig an der Produktionsstätte festhalten. In zwei bis drei Jahren werde der Verkauf wieder auf der Tagesordnung stehen, berichtete die Zeitung unter Berufung auf Konzernkreise. Langfristig werde die Tochter nicht zum Unternehmen gehören, habe es geheißen. Vorstandschef Heinrich Hiesinger wolle lieber die Technologiebereiche stärken, die Hütte in Brasilien passe daher nicht in die Strategie.
Aufgrund des Schuldenbergs von 5,3 Mrd. Euro halten Experten eine Kapitalerhöhung bei dem Stahlkonzern für nicht mehr ausgeschlossen. Eine Entscheidung darüber will ThyssenKrupp aber erst treffen, wenn mehr Klarheit über den Verkauf der Übersee-Stahlwerke und bei den offenen Kartellfällen herrscht, erklärte ein Unternehmensprecher. Analysten gehen davon aus, dass eine zehnprozentige Kapitalerhöhung zusammen mit einer Hybridanleihe bis zu 1,8 Mrd. Euro in die Kassen des Konzerns spülen könnte.
Ich wünsche Ihnen einen guten Tag.
Ihre
Kathrin Dörfeld