Kaufrausch auf Kredit
Von Arne Storn
Mit verwegenen Schulden treiben die Finanzinvestoren ihr Geschäft auf neue Höhen. Die Angst vor einem Crash erfasst die Bankenwelt.
Euphorie hinter der Fassade: Die Wall Street boomt
Die Herren kaufen wie im Rausch. Sie machen ihre Geschäfte nicht wie andere Firmen mit T-Shirts, Turnschuhen oder Spielzeug. Sie handeln nicht mit Rohstoffen oder Maschinen, sondern dealen mit kompletten Unternehmen. Und Geld, so scheint es, spielt dabei keine Rolle. Es ist einfach genug da.
Fast im Wochentakt vermeldet die amerikanische Finanzfirma Kohlberg Kravis Roberts & Co. (KKR) derzeit Unternehmenskäufe, bei denen Milliardenpreise gezahlt werden. Seit Jahresbeginn übernahmen die international operierenden Investoren nicht weniger als 13 Konzerne. Der Gesamtwert der Transaktionen: 125 Milliarden Dollar. Zehn Milliarden Dollar der Kaufpreise brachte KKR selbst auf, den Rest holte man sich von Partnern oder lieh ihn sich bei Banken.
Den größten Deal stemmte KKR gemeinsam mit der Texas Pacific Group (TPG). Die beiden Geldkonzerne kauften einen großen amerikanischen Energieversorger für 45 Milliarden Dollar. Der KKR-Gründer Henry Kravis sprach von einer »goldenen Ära« für seine Branche.
Da hat er recht. Finanzinvestoren prägen derzeit das Antlitz des globalen Kapitalismus. Ihre Fonds sind bis zu 20 Milliarden Dollar schwer. Damit kaufen sie Unternehmen und trimmen sie anschließend auf Profit, um sie dann wieder abzustoßen. Das Ganze spielt sich abseits der (öffentlichen) Börse ab und heißt deshalb Private Equity.
Die Renditen sind exorbitant, und der Zufluss neuen Geldes scheint unerschöpflich. Mehr als 400 Milliarden Dollar sammelte die Branche 2006 weltweit bei Anlegern ein – mit dem Ziel, sie kräftig zu vermehren. Weil sich die Übernehmer bei ihren Firmenkäufen zu jedem Dollar eigenen Geldes vier Dollar von den Banken leihen, mobilisieren sie gewaltige Summen. Selbst große Konzerne sind vor ihnen nicht mehr sicher.
In den USA sind der Autovermieter Hertz und die Fast-Food-Kette Burger King im Besitz von Private-Equity-Fonds. In Deutschland kontrollieren die Finanzinvestoren Firmen wie Rodenstock, Märklin und das Duale System mit dem Grünen Punkt. Die Gabelstaplerproduktion von Linde gehört ihnen bereits, an Continental und Infineon zeigten sie Interesse. Bei der Deutschen Telekom ist Blackstone mit 4,5 Prozent beteiligt. Deren Gründer Stephen Schwarzman wird in den USA als der »neue König der Wall Street« (Fortune) gefeiert. In wenigen Tagen will er Blackstone an die Börse führen.
Vielleicht wird sich dieser Börsengang dereinst als ein letztes Hurra erweisen. Je heißer das Geschäft der Beteiligungsriesen läuft, desto schneller mehren sich die Krisenzeichen. Denn das Geschäft wird schwieriger, umkämpfter, riskanter. Die Fonds schwimmen im Geld und müssen investieren. Experten halten die von ihnen gezahlten Unternehmenskaufpreise inzwischen vielfach für zu hoch. In anderen Fällen stimmt zwar noch der Kaufpreis, aber der Kreditanteil ist gefährlich hoch. Die Zinsen müssen die gekauften Unternehmen selbst aufbringen – zusätzlich zu Gebühren und Sonderausschüttungen, die viele Private-Equity-Firmen von ihren Beteiligungen kassieren.
»Die Gier hat die Macht übernommen«, sagte kürzlich David Rubenstein, einer der Gründer von Carlyle und eine Ikone der Branche. Vorstände, die auch mit eigenem Geld einsteigen, vermehren ihren Einsatz in Einzelfällen um mehr als das 20-Fache.
Sorgen bereiten Insidern und Bankern vor allem die Details in den aktuellen Kreditverträgen. An ihnen lässt sich ablesen, wie dramatisch sich die Kräfteverhältnisse in der Finanzwelt zugunsten von Private Equity verschoben haben – und wie risikobeladen das Geschäft mittlerweile geworden ist.
Längst geht es nicht mehr um die Frage, ob sich eine neue Spekulationsblase gebildet hat. Es geht nur noch darum, wann die Luft aus dieser Blase entweicht. Und wie das geschieht: langsam oder mit einem lauten Knall?
Das Geschäft von First Data ist das Abwickeln von Kreditkartenzahlungen. Nichts Aufregendes. Aufregend ist die Übernahme des US-Konzerns – ein spektakuläres Beispiel dafür, dass Banken im Wettbewerb um die Vergabe von Krediten große Risiken eingehen. Mehr als vier Milliarden Dollar steuern mehrere Geldhäuser, darunter die Deutsche Bank, zur Zwischenfinanzierung des Kaufs bei – aus eigener Tasche und auf eigene Rechnung. Solche Zwischenfinanzierungen sind in den USA gängige Praxis und oft Voraussetzung, um ins Konsortium der Kreditgeber aufgenommen zu werden. Seit Kurzem sind sie auch in Europa zu beobachten. Einer, der sich auskennt, berichtet, dass es bei Zwischenfinanzierungen um bis zu zwei Milliarden Dollar von einer Bank gehen kann. Sechs Monate, sagt ein anderer, könne es sich hinziehen, bis langfristige Investoren dieses Geld ersetzten. »Das ist heikel.« Die Bank steht voll im Risiko – in ein paar Monaten kann viel geschehen.
Einen Rekord markierte der Fall First Data indes mit seinen Kreditverträgen. 16 Milliarden Dollar – mehr als die Hälfte des Kaufpreises – steuern Banken über Darlehen bei, die fast ohne jede Sicherheitsklausel auskommen. Solche Klauseln, unter Fachleuten »Covenants« genannt, erlauben es sonst den Banken, korrigierend ins Geschäft des Unternehmens einzugreifen oder ihre Kredite zurückzuverlangen, sollten wichtige Geschäftsziele verfehlt werden.
Verträge ohne derartige Klauseln lassen den Unternehmen zwar mehr Spielraum, bergen aber die Gefahr, dass zu spät gegengesteuert wird, wenn etwas schiefläuft. »Wir sehen solche Vertragsstrukturen in fast allen großen Deals – und wir sind nicht glücklich darüber«, sagt ein Banker, der namenlos bleiben will. »Die Mitsprache- und Kontrollrechte der Kredit gebenden Banken werden derzeit fortwährend eingeschränkt.« Ablesen lässt sich diese Entwicklung auch an anderen Details. Früher konnten sich Banken vor Abschluss eines Deals vor unkalkulierbaren Risiken schützen. Spezielle Klauseln erlaubten ihnen, bei unvorhersehbaren Ereignissen wie einem Terroranschlag oder bei überraschenden Problemen im operativen Geschäft von ihren Kreditzusagen zurückzutreten. »Die Mehrheit der Transaktionen kennt heute weder das eine noch das andere«, sagt Kai Tschöke, Leiter der Abteilung für Fusionen und Übernahmen in Deutschland bei der Investmentbank Morgan Stanley.
Nach Abschluss eines Deals geht es im gleichen Stil weiter: Die Banken werden später, seltener und schlechter informiert. War es früher üblich, dass Kreditinstitute drei bis sechs Monate nach dem Kauf eine umfassende Bestandsaufnahme des Unternehmens erhielten, dauert dies heute meist neun bis zwölf Monate. Und statt monatlich wird oft nur noch alle drei Monate berichtet, wie die Geschäfte laufen.
Eine Besonderheit des Booms sind sogenannte PIK-Notes. Entgegen der sonst üblichen Praxis werden während der Kreditlaufzeit weder Zinsen noch Tilgung gezahlt – alle Schulden laufen bis zum Ende auf. »Wenn Sie das von Ihrer Bank fordern, lacht die sie aus«, sagt Hans Albrecht, Chef des Finanzinvestors Nordwind Capital. Nach Einschätzung von Marktkennern finden sich solche Konstrukte mittlerweile in rund einem Drittel aller Deals. Zu den Beispielen in Deutschland zählt der Chemiekonzern Cognis. Im Extremfall verfügt der Schuldner über das »Kippschalter« genannte Recht, fällige Zahlungen auf einen Schlag in die Zukunft zu verschieben.
Die Ratingagentur Standard & Poor’s registriert bereits eine Abnahme der Kreditqualität. »Viele Deals ließen sich nicht finanzieren, müssten die Unternehmen die Zinsen bereits bedienen«, sagt Investmentbanker Tschöke. Aber irgendwann muss dann doch bezahlt werden. »Es ist eine Wette auf den Markt.«
Das Gefährliche an dieser Wette ist, dass der aktuelle Boom von Private Equity einer in der jüngsten Wirtschaftsgeschichte einmaligen Konstellation zu verdanken ist – von der niemand sagen kann, wie lange sie besteht. Industriestaaten und Schwellenländer wie China verzeichen enormes Wachstum, die Preise für Öl und Rohstoffe steigen, die Aktienmärkte erreichen Rekordstände. Die Notenbankzinsen sind weltweit niedrig, Fremdkapital ist so billig wie nie. Die Welt ertrinkt geradezu in Liquidität. Eine Flut von Kapital sucht nach lukrativen Anlagen.
Das muss nicht so bleiben. Was, wenn die Zinsen stark steigen? Wenn ein Terroranschlag oder eine Krise in China die Finanzmärkte erschüttert? Wenn Großspekulanten ins Straucheln geraten und andere mitreißen? »Hedgefonds sind heute mit der Wirtschaft eng verwoben. Werden sie als Masse illiquide, kann das erhebliche Dominoeffekte auslösen«, sagt Finanzinvestor Albrecht.
Keiner kann sagen, wie lange die Unternehmen so gut verdienen wie gegenwärtig. »Viele gehen von einer anhaltend guten Konjunktur aus«, sagt ein Banker. »Warten wir mal ab!« Wenn der erste gekaufte Großkonzern unter seiner Schuldenlast zusammenbricht, wird es für Finanzinvestoren schlagartig schwerer werden, Kredite zu erhalten. »Ist der Blitz einmal eingeschlagen, wird eine Bank erheblich zurückhaltender sein«, sagt Kai Tschöke von Morgan Stanley. Und dann werden andere ebenfalls zurückhaltender werden: »Solche Herdeneffekte können sehr schnell einsetzen.« Gleiches gilt für Pensionsfonds und Versicherungen. Sie werden nach ein paar schiefgegangenen Deals deutlich weniger Geld als bisher in Private Equity stecken. Die Folge: Die Fonds würden kleiner – und mit ihnen die Chance, große Unternehmen weiterzuverkaufen und dabei die alten Preise zu erzielen. Eine Abwärtsspirale käme in Gang.
Ins Rutschen gerieten die Unternehmen selbst. Sollten sich die Kredite nicht refinanzieren lassen oder sollten die Firmen wegen schlechter laufender Geschäfte ihre Zinsen nicht zahlen können, müssten sie ihre Kosten senken und Investitionen zurückfahren. Entlassungen wären unumgänglich, insbesondere wenn die aggressiver als Banken auftretenden Hedgefonds zu den Gläubigern zählen.
Ein Vorbote dessen, was auf breiter Front droht, ist der Fall des Autozulieferers Kiekert. Hedgefonds drängten den Finanzinvestor Permira in der Krise aus dem Unternehmen und setzten Sanierungsexperten ein. »Wenn man an einem Fall lernen kann, was sich verändert hat, dann ist es Kiekert«, sagt Babette Fröhlich, Expertin der IG Metall für Private Equity. Es klingt nicht zuversichtlich.
Von einer Krise betroffen wären auch die Banken. Zwar reichen Investmentbanken die Darlehen heute meist an Hedgefonds weiter. Auf diese Weise reduzieren sie den Anteil der Kredite, den sie am Ende in ihren eigenen Büchern halten, auf fünf oder gar null Prozent. Klassische Geschäftsbanken wie Barclays oder die HypoVereinsbank hingegen sind oft weiter mit zweistelligen Anteilen dabei. Diese Kredite müssten sie im Notfall neu bewerten oder mit hohen Abschlägen weiterverkaufen.
»Man erinnere sich nur an die neunziger Jahre«, sagt Christoph von Einem, Anwalt in der Kanzlei White & Case. Allzu locker an Mittelständler und Bauherren vergebene Kredite brachten damals etliche deutsche Banken in die Bredouille.
Je waghalsiger Finanzinvestoren bei ihren Investments kalkulieren, desto größer wird auch die Gefahr, dass sie und ihre Anleger einen Teil ihres eingesetzten Kapitals verlieren. »Der Markt für Private Equity wird dadurch nicht zum Erliegen kommen. Es ist aber durchaus wahrscheinlich, dass dann die Fonds wieder kleiner werden. Ebenso die Deals«, sagt Helmut Schühsler, frisch gekürter Vorsitzender des europäischen Branchenverbandes EVCA.
An den Kapitalmärkten ginge eine solche Entwicklung nicht spurlos vorbei. »Im Vergleich zur Marktkapitalisierung der börsennotierten Unternehmen ist Private Equity ziemlich klein«, sagt zwar Matthias Calice, der beim Finanzinvestor TPG für Deutschland zuständig ist. Aber der Einfluss dieser Firmenkäufer ist größer, als es die Zahlen vermuten lassen. Schon weil Finanzinvestoren zum vielleicht wichtigsten Antrieb der Aktienmärkte geworden sind: 2006 zeichneten sie dem Informationsdienstdienstleister Thomson Financial zufolge für 22 Prozent aller Übernahmen weltweit verantwortlich. In diesem Jahr betrug ihr Anteil in den USA und in Großbritannien sogar mehr als 35 Prozent.
Männer wie Stephen Schwarzman von Blackstone oder David Bonderman von TPG gelten als Avantgarde der Finanzwelt. Sie zeigen, was geht – und was nicht. Eine Krise der Branche und der von ihr geführten Unternehmen würde sich auf die Bewertungen vieler Konzerne auswirken und die Aktienmärkte erschüttern.
Während sich bei Bankern Unruhe breitmacht und Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann vor einer allzu laxen Kreditvergabe warnt, sehen viele Finanzinvestoren keinen Anlass zur Sorge. »Wir achten sehr darauf, das Risiko nach Geografie und Branchen zu streuen«, sagt Matthias Calice von TPG. Man habe ein Auge auf die Unternehmen, heißt es in der Branche, man rede mit den Banken und berücksichtige in der Planung, dass die Firmen in ein paar Jahren niedriger bewertet werden könnten.
Einen echten »Stresstest«, warnen die Fachleute der Europäischen Zentralbank, habe das System noch nicht erlebt. Sanierungsexperten wie AlixPartners rechnen jedenfalls mit einer »Welle von Kreditausfällen«. Besorgniserregend ist auch, dass bei der Frage nach der Verantwortung für das gestiegene Risiko die Banken auf die Finanzinvestoren, die Finanzinvestoren auf die Banken und beide zusammen auf die Hedgefonds zeigen.
Wiederholt sich Finanzgeschichte? Auch im Boom Ende der Achtziger finanzierte Private Equity die Übernahme zahlloser Konzerne. Damals geschah das nicht mit Krediten, sondern mit sogenannten Ramschanleihen. Der spektakulärste Deal war der Kauf von RJR Nabisco für rund 30 Milliarden Dollar 1989 – ein Rekord, der zum Menetekel geriet. Immer waghalsiger wurden damals die Deals: PIK-Anleihen, die nicht bedient werden mussten, kamen in Mode, Banken sprangen mit Brückenfinanzierungen ein – wie heute.
Es bedurfte nicht viel, dem Ganzen ein Ende zu setzen: 1989 ging der amerikanische Einzelhandelskonzern Campeau in die Knie. Andere Firmen folgten. Geplante Deals platzten. Der Markt für Ramschanleihen und Übernahmen trocknete binnen weniger Monate aus. Viele Unternehmen mussten mit ihren Gläubigern härteste Einschnitte verabreden. »Die Folgen für die Wirtschaft waren, gelinde gesagt, unerfreulich«, schreibt die OECD in einer aktuellen Studie über Private Equity. Die Experten der Industrieländerorganisation halten es für dringlich, »das Risiko größerer Kreditausfälle in diesem Stadium des Zyklus zu reduzieren«.
Eine berechtigte Warnung: Die Folgen eines Absturzes wären viel dramatischer als beim Crash von 1989/90. Denn die Fonds sind ungleich größer, ihre Deals weitreichender.
»Jeder Zyklus, ob positiv oder negativ, dreht sich irgendwann. Die Frage ist nur: wann?«, sagt der Verbandsvorsitzende Helmut Schühsler. Er glaubt eher an eine weiche Landung. Ein Investmentbanker sagt: »Noch ist die völlige Irrationalität nicht erreicht. Noch halten sich die Spesenausgaben im Rahmen, noch werden Leute nicht mit riesigen Gehaltspaketen von der Konkurrenz abgeworben.« Finanzinvestor Albrecht ist weit skeptischer: »Jede Welle, die hochschlägt, fällt auch wieder zusammen. Und was wir derzeit erleben, ist schon eher ein Tsunami.«