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Das ist die nächste Phase der Geldpolitik
Seit fast zehn Jahren spielen Notenbanken auf einer unkonventionellen Klaviatur. Nun zeichnet sich eine neue Phase der Geldpolitik am Horizont ab. Sie umfasst drei Komponenten.
Gastbeitrag von Nouriel Roubini
02.04.2016
Da die meisten hochentwickelten Volkswirtschaften nach der Finanzkrise von 2008 nur ein blutleeres Wachstum zeigten, waren ihre Zentralbanken gezwungen, von der konventionellen Geldpolitik – der Senkung der Leitzinsen durch Käufe kurzfristiger Staatsanleihen am offenen Markt – zu einer Reihe unkonventioneller Politiken überzugehen.
Obwohl die Nullgrenze bei den Nominalzinsen – zuvor nur eine theoretische Möglichkeit – erreicht und eine Nullzinspolitik umgesetzt worden war, blieb das Wachstum blutleer. Daher verfolgten die Zentralbanken nun Massnahmen, die in ihrem politischen Instrumentarium ein Jahrzehnt zuvor nicht einmal vorhanden gewesen waren. Und nun stehen sie kurz davor, dies noch einmal zu tun.
Credit Easing
Die Liste unkonventioneller Massnahmen ist lang. Da war zunächst die quantitative Lockerung, d. h. der Ankauf langfristiger Staatsanleihen, nachdem die kurzfristigen Zinsen bereits auf null gefallen waren. Diese ging einher mit dem sogenannten «Credit Easing» in Gestalt des Kaufs privater oder semiprivater Vermögenswerte durch die Zentralbanken – etwa durch Hypotheken oder andere Vermögenswerte unterlegten Wertpapieren, gedeckten Schuldverschreibungen, Unternehmensanleihen, Immobilien-Treuhandfonds und sogar Aktien (über börsennotierte Fonds).
Das Ziel war, die Risikoaufschläge für private Kredite (die Differenz bei den Renditen privater Anlagewerte und denen von Staatsanleihen mit ähnlicher Laufzeit) zu verringern und direkt und indirekt die Preise für andere riskante Anlagewerte wie Aktien und Immobilien in die Höhe zu treiben.
Forward Guidances
Dann waren da die sogenannten «Forward Guidances», zielgerichtete Hinweise der Zentralbanken, dass diese die Leitzinsen für länger bei null halten würden, als dies durch die wirtschaftlichen Rahmendaten gerechtfertigt war, wodurch die kurzfristigeren Zinsen weiter gesenkt wurden. Eine Zusage etwa, die Nullzinspolitik für drei Jahre beizubehalten, impliziert, dass die Zinssätze für Wertpapiere mit Laufzeiten von bis zu drei Jahren ebenfalls auf null fallen dürften, da die mittelfristigen Zinsen auf Erwartungen über die kurzfristigen Zinsen der nächsten drei Jahre beruhen.
Und zu guter Letzt waren da die unsterilisierten Interventionen am Devisenmarkt, die über eine Schwächung der Währung den Export ankurbeln sollten.
Niedriges Wachstum
Diese Massnahmen haben die lang- und mittelfristigen Zinsen für Staatspapiere und Hypothekenanleihen in der Tat gesenkt. Sie verengten zudem die Risikoaufschläge für private Anlagewerte, trieben die Aktienkurse in die Höhe, schwächten die Währung und führten zu einer Verringerung der Realzinsen durch Steigerung der Inflationserwartungen. Das heisst, sie zeigten teilweise Wirkung.
Trotzdem blieb in den meisten hochentwickelten Volkswirtschaften das Wachstum hartnäckig niedrig (und die Inflation ebenfalls). Hierfür gibt es mehrere Gründe. Angesichts des Abbaus hoher privater und öffentlicher Schulden konnte die unkonventionelle Geldpolitik schwere Rezessionen und eine echte Deflation verhindern; ein robustes Wachstum und 2 Prozent Inflation herbeiführen konnte sie jedoch nicht.
Schlechter Policy-Mix
Zudem war der Policy-Mix nicht optimal. Während die Geldpolitik eine wichtige Rolle dabei spielen kann, Wachstum und Inflation zu steigern, bedarf es strukturpolitischer Massnahmen, um das potenzielle Wachstum zu erhöhen und zu verhindern, dass Unternehmen, Haushalte, Banken und Regierungen sich in Zombies verwandeln, die aufgrund zu hoher Schulden chronisch unfähig sind, Ausgaben zu tätigen. Ausserdem waren fiskalpolitische Massnahmen erforderlich, um die Gesamtnachfrage zu stützen.
Unglücklicherweise impliziert die politische Ökonomie der meisten Strukturreformen – mit ihren frühzeitig anfallenden Kosten und ihrem verzögert eintretendem Nutzen –, dass diese nur langsam umgesetzt werden. Zugleich war in einigen Ländern der fiskalpolitische Spielraum durch hohe Defizite und Schulden (die den Marktzugang gefährden) und in anderen (u. a. der Eurozone, Grossbritannien und den USA) durch eine politische Gegenreaktion gegen fiskalpolitische Impulse beschränkt.
Unkonventionelles wird konventionell
Dies führte zu Sparmassnahmen, die das kurzfristige Wachstum untergraben. Die Zentralbanken wurden also und sind immer noch – ob es einem gefällt oder nicht – die Einzigen, die die Gesamtnachfrage stützen, die Schaffung von Arbeitsplätzen unterstützen und eine Deflation verhindern.
Infolgedessen hat sich die unkonventionelle Geldpolitik – die inzwischen seit fast einem Jahrzehnt fest verankert ist – selbst als konventionelle Geldpolitik etabliert. Und angesichts des nach wie vor lustlosen Wachstums und der anhaltenden Deflationsrisiken in den meisten hochentwickelten Ländern werden die Geldpolitiker ihren einsamen Kampf mit einer neuen Reihe «unkonventioneller unkonventioneller» geldpolitischer Massnahmen fortsetzen müssen.
Negativzinsen auf dem Vormarsch
Einige wurden bereits umgesetzt. So haben sich inzwischen negative Leitzinsen in der Schweiz, Schweden, Dänemark, der Eurozone und Japan als Standard etabliert. Die Überschussreserven, die die Banken bei den Zentralbanken hinterlegen, werden infolge der quantitativen Lockerung mit einem negativen Zinssatz belegt.
Die politischen Entscheidungsträger sind dazu übergegangen, statt an der Geldmenge (quantitative Lockerung, Credit Easing und Wechselkursinterventionen) am Preis des Geldes zu drehen (erst Nullzinspolitik, dann Forward Guidances und jetzt negative Leitzinsen). Die Nominalzinsen sind jetzt nicht nur für Tagesgelder negativ, sondern auch für zehnjährige Staatsanleihen. Tatsächlich erbringen heute Staatsanleihen im Wert von etwa sechs Billionen Dollar negative Nominalerträge.
Nächste Phase der Geldpolitik
Die nächste Phase der unkonventionellen Geldpolitik könnte – falls sich die Rezessions-, Deflations- und Finanzkrisenrisiken steil erhöhen – drei Komponenten umfassen.
Erstens könnten die Zentralbanken die Ausgabe von Bargeld mit Gebühren belegen, um die Banken an dem Versuch zu hindern, den negativen Zinsen auf Überschussreserven zu entgehen. Wenn die Banken dann nicht mehr imstande sind, auf Bargeld umzustellen (auf das keine Zinsen anfallen), könnten die Zentralbanken die Leitzinsen noch weiter in den negativen Bereich drücken.
Helikoptergeld am Horizont
Zweitens könnte sich die quantitative Lockerung zu «Helikoptergeld» oder der direkten geldpolitischen Finanzierung grösserer Haushaltsdefizite durch die Zentralbanken fortentwickeln.
Tatsächlich betreffen die jüngsten Gerüchte am Markt die Vorteile einer dauerhaften Monetisierung der öffentlichen Defizite und Schulden. Darüber hinaus hat die quantitative Lockerung zwar den Inhabern von Finanzwerten genutzt, indem sie die Preise für Aktien, Anleihen und Immobilien in die Höhe getrieben hat. Zugleich jedoch hat sie die zunehmende Ungleichheit angeheizt. Helikoptergeld könnte (durch Steuersenkungen oder durch frisch gedrucktes Geld finanzierte Transferleistungen) das Geld direkt in die Hände der Haushalte geben und so den Konsum ankurbeln.
Ausweitung des Credit Easing
Drittens könnte es zu einer deutlichen Ausweitung des Credit Easing, d. h. des Ankaufs privater Anlagewerte, durch die Zentralbanken kommen. Man denke hier etwa an den direkten Ankauf von Aktien, hochriskanten Unternehmensanleihen und faulen Krediten der Banken.
Wer meint, dass die unkonventionelle unkonventionelle Geldpolitik ein bisschen verrückt klingt, sollte sich daran erinnern, dass einige dasselbe erst vor ein paar Jahren über die «konventionelle unkonventionelle» Geldpolitik sagten. Und falls die aktuellen Bedingungen in den hochentwickelten Volkswirtschaften in einem Jahrzehnt noch Bestand haben, könnten sich Helikoptergeld, Schuldenmonetisierung und Gebühren auf Bargeld als quantitative Lockerung, Credit Easing, Forward Guidances, Nullzinspolitik und negative Leitzinsen von morgen erweisen. Verzweifelte Zeiten erfordern verzweifelte Massnahmen.
* Nouriel Roubini ist Chairman von Roubini Global Economics und Professor für Ökonomie an der Stern School of Business der New York University. Aus dem Englischen von Jan Doolan. Copyright: Project Syndicate, 2016.