DJ TOP EU: Druck auf die EZB in der Euro-Krise wird größer
Dow Jones
Von Hans Bentzien
Die Europäische Zentralbank (EZB) gerät nach dem starken Anstieg der spanischen Staatsanleiherenditen und dem Warnschuss der Ratingagentur Moody's an die Spitzenschuldner Deutschland, Niederlande und Luxemburg unter immer stärkeren Druck, bei der Senkung der Refinanzierungskosten finanzschwacher Länder aktiver einzugreifen. Am Nachmittag will Spaniens Wirtschaftsminister Luis de Guindos angeblich Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble von der Richtigkeit weiterer EZB-Staatsanleihekäufe überzeugen. Ökonomen spekulieren, dass die EZB dem Druck früher oder später nachgeben wird.
Die EZB hat seit Beginn der europäischen Schuldenkrise Staatsanleihen von Peripheriestaaten für über 200 Milliarden Euro gekauft, von denen sich 211 Milliarden noch in ihrer Bilanz befinden. Dieses Programm verstößt jedoch nach Einschätzung von Kritikern gegen das in den EU-Verträgen festgelegte Verbot der Staatsfinanzierung. Die deutschen Geldpolitiker Axel Weber und Jürgen Stark hatten wegen dieser Käufe die EZB-Spitzengremien verlassen. Nach dem dramatischen Anstieg der spanischen Refinanzierungskosten werden dennoch neue Forderungen laut, das seit Monaten ruhende Kaufprogramm wieder aufleben zu lassen.
An den Finanzmärkten herrscht die Sorge, dass ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone oder ein umgebremster Anstieg der spanischen Anleiherenditen zu untragbar hohen Refinanzierungskosten für Italien führen würde. Eine Rettung Italiens aber wäre mit den Rettungsfonds EFSF und ESM nicht mehr zu schaffen.
Nach den schweren Verlusten am Freitag hatte sich der Absturz der spanischen Anleihenotierungen am Montag fortgesetzt. Die Rendite zehnjähriger Staatsanleihen stieg im Tagesverlauf auf bis zu 7,57 Prozent, den höchsten Stand seit 1996. Auch am Dienstag gab es kaum Entlastung. Renditen jenseits der Marke von 7 Prozent im zehnjährigen Laufzeitenbereich gelten für einen Staat auf längere Sicht als nicht verkraftbar.
Nach Ansicht von ING-Volkswirt Peter Vanden Houte bedeuten die hohen Renditen, dass an den Finanzmärkten bereits die Überzeugung vorherrscht, dass Spanien ein volles Rettungsprogramm braucht, wie es Griechenland, Irland und Portugal bereits haben. Die bisherigen Hilfszusagen beziehen sich lediglich auf die Banken des Landes und ziehen keine makroökonomischen Anpassungsmaßnahmen nach sich.
Sollte Spanien unter den Rettungsschirm schlüpfen müssen, würde das aber "zugleich Zweifel wecken, ob die vorhandenen Rettungsfonds groß genug sind, wenn auch Italien gerettet werden müsste", gibt Vanden Houte zu bedenken. Seiner Ansicht nach wird die EZB nicht darum herum kommen, dem ESM Zugang zu ihren Refinanzierungsoperationen zu gewähren, wenn sie nicht erneut Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt kaufen will.
EZB-Präsident Mario Draghi hatte am Wochenende in einem Zeitungsinterview gesagt, die EZB habe "keine Tabus", wenn es darum gehe, die Preisstabilität im Euroraum abzusichern. Das, so hatte Draghi hinzugefügt, gelte auch für das Risiko sinkender Preise. Aus konjunktureller Sicht spricht derzeit zumindest nichts für einen hohen Inflationsdruck. Der Einkaufsmanagerindex der Euroraum-Wirtschaft sank im Juli erneut und lag mit 46,4 Punkten weiterhin auf dem Niveau des zweiten Quartals, das den tiefsten Stand seit drei Jahren darstellte.
Christian Schulz, Volkswirt bei der Berenberg Bank, hält eine Marktintervention der EZB schon in den nächsten Tagen durchaus für möglich. "Das wäre vor allem dann sinnvoll, wenn sie es mit großen Beträgen tut oder einem klaren Ziel kommuniziert", sagt er. Schulz kann sich aber auch vorstellen, dass die EZB wie in der Vergangenheit mit kleineren Beträgen und ohne eine klar formulierte Rendite-Obergrenze kaufe. Der Ökonom warnt jedoch, dass solche Käufe nicht zu einer nachhaltigen Marktberuhigung führen dürften - "vor allem dann nicht, wenn sich die Bundesbank im Nachgang wieder negativ äußert", wie er sagte.
Unicredit-Chefvolkswirt Erik F. Nielsen äußerte sich ebenfalls zurückhaltend zu den Erfolgsaussichten weiterer Käufe am Sekundärmarkt, auch er wollte sie aber nicht prinzipiell ausschließen. "Ich bin sicher, dass die EZB das Staatsanleihekaufprogramm nicht gerne einsetzt, aber sie weiß natürlich auch, dass das die einzige Waffe im Falle eines Marktzusammenbruchs ist, der für Europa verheerend wäre", sagte er. Nielsen glaubt allerdings, dass die EZB dieses Instrument nur im äußersten Notfall einsetzen würde. "Vorher würde sie sicher ein volles Troika-Programm für Spanien fordern und möglicherweise eine Absichtserklärung Italiens, Hilfen zu akzeptieren", sagte er.
Zumindest im Falle Spaniens könnte dieser Punkt Berichten zufolge bald erreicht sein. Nach Angaben der Zeitung El Economista will Spaniens Wirtschaftsminister Luis de Guindos Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble am Dienstag in Berlin dafür gewinnen, sich bei den deutschen EZB-Vertretern für eine Wiederaufnahme der EZB-Staatsanleihekäufe am Sekundärmarkt einzusetzen.
Sollte Spaniens Versuch, Deutschland für neue EZB-Staatsanleihekäufe zu gewinnen, scheitern, werde das Land einen Antrag auf komplette Rettung vor einem Zahlungsausfall stellen, schreibt die Zeitung "El Economista". "Die Analysten sind sich einig: Wenn der Druck auf die spanischen Anleihen anhält und das Schatzamt den Marktzugang verliert, wäre Spanien nicht in der Lage, die im Oktober anstehenden Anleihetilgung von nahezu 28 Milliarden Euro zu leisten", schrieb das Blatt. Ein solcher Hilfsantrag würde vor allem für Deutschland weitere Verpflichtungen mit sich bringen.
Die Drohung von Moody's, Deutschland ebenso wie den Niederlanden und Luxemburg wegen der aus der Eurokrise drohenden Zahlungsverpflichtungen die Spitzenbonität abzuerkennen, dürfte die Geberlaune in Berlin jedoch zusätzlich dämpfen. Bereits jetzt summieren sich die deutschen Zahlungen, Kreditgarantien und sonstigen Verbindlichkeiten auf dreistellige Milliardenverbindlichkeiten.
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July 24, 2012 12:00 ET (16:00 GMT)
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Quelle: Dow Jones 24.07.2012 18:00:00