25.06.2009 Nr. 27 [http://www.zeit.de/2009/27/Dubai-27]
Finanzkrise
Goodbye, Dubai
Der Aufstieg des Emirats war gigantisch. Sein Abstieg ist es auch: Die globale Geldelite flieht aus ihrer einstigen Traumstadt. Megalopolis am Golf macht Pause
Alex Light, selbst ernannter Fitnesstrainer der Arbeitslosen von Dubai, applaudiert, als seine Schützlinge sich am Strand bei Liegestützen quälen, rote Gesichter, schweißüberströmt. Es ist der einzige Applaus, den sie momentan erhalten. »Bad Times Boot Camp«, Trainingslager für schlechte Zeiten, so nennt der stachelhaarige Engländer, selber arbeitslos, seine Idee. Dreimal pro Woche trifft sich am Jumeirah Beach, wer keinen Job hat und in Form bleiben will. In der Ferne verschwindet das segelförmige Burj Al Arab, lange höchstes Hotel der Welt und Wahrzeichen Dubais, wie eine Fata Morgana im Dunst.
»Los jetzt«, treibt Alex die sechs Frauen und Männer an, »ihr wollt doch gut aussehen beim nächsten Vorstellungsgespräch, oder etwa nicht?« Desmond aus Singapur war Marketingchef einer Luxusgüterkette (im April entlassen); Tamar aus der Schweiz rekrutierte Führungskräfte (im Februar entlassen); Wayne aus England war Finanzchef einer Abteilung beim staatlichen Generalunternehmer Nakheel (wegstrukturiert). Nakheel ist jene Firma, die Dubais wahnwitzigste Projekte verantwortet: die drei Palm Islands vor der Küste (Weiterbau verschoben); den geplanten, über einen Kilometer hohen Nakheel Tower (vorläufig abgesagt); die einer Weltkarte nachempfundene künstliche Inselgruppe The World (gestoppt). Ein irischer Investor, der mit seinen Partnern für knapp 40 Millionen Dollar die Insel Ireland aus The World gekauft hatte, hat sich im März das Leben genommen. Doch Alex ist Fitnesstrainer, Alex ist Optimist. »Das wird schon wieder«, sagt er.
Die Arbeit ruht im Übermorgenland. Der Wind treibt Sand über die frisch planierten Autobahnen, verdorrte Steppenläuferbüsche rollen bis an den Rand der Baustellen, als wolle die Wüste zurückfordern, was ihr genommen wurde. Einst war hier jeder dritte Kran der Welt am Werk, noch immer stehen sie zu Hunderten um unvollendete Wolkenkratzer herum, Herden gelangweilter Giraffen. Dubai, auf Pump gebaut, ist abhängig vom globalen Kapitalfluss, von immer neuen Krediten für immer neue Hotel-, Geschäfts- und Wohnkomplexe, von dem sich bis vor Kurzem in schwindelerregendem Tempo drehenden Kreislauf aus Investitionen, Renditen und Schulden. Gestern war Glaube, Gier und Hoffnung. Heute ist Krise. Dubai, Megalopolis am Golf, Hauptstadt der globalisierten Welt, macht Pause.
Diese Stadt hat im Boom wie keine zweite die globalen Nomaden angezogen, die Glücksritter, die Heimatlosen, nun zieht die Karawane weiter. Genaue Zahlen gibt es nicht, doch im Groben kann man sagen: Nur etwa zehn Prozent der geschätzten 1,4 Millionen Bewohner sind Einheimische, weitere zehn Prozent kommen aus umliegenden arabischen Staaten, sie werden bleiben. Die Krise trifft vor allem diejenigen ganz unten und ganz oben in der Gesellschaft, die 65 Prozent Wanderarbeiter vom indischen Subkontinent, humane Schubmasse, und die 15 Prozent Fachkräfte aus der Ersten Welt, Europäer, Amerikaner, Australier, weiße Südafrikaner, angelockt vom schnellen Geld und von einem Steuersatz von null Prozent.
In den letzten sechs Monaten hat laut Schätzungen jeder dritte expat , wie sich die Westler auf Wüstenbesuch selber nennen, der Stadt den Rücken gekehrt. Bis Ende 2009, so erwarten die Analysten der Investmentbank EFG-Hermes, werde Dubais Bevölkerung um 17 Prozent schrumpfen.
»Ausgerechnet jetzt müssen wir weg«, sagt Cynthia. Jetzt, da ihr Leben dank der Krise angenehmer geworden ist. Vor Monaten stand sie noch pro Tag mit ihrem Offroader vier Stunden im Stau, um ihre zwei Töchter in die internationale Schule zu fahren und zurück. Dubai heißt leben im Auto, 75 Kilometer Retortenstadt entlang der schnurgeraden Sheikh Zayed Road, zwölf Spuren parallel zur Küste. Heute, da der Verkehrsstrom angenehm ausgedünnt wurde, weil die vielen Lastwagen wegfallen, die nicht mehr auf die Baustellen fahren, und weil weniger Taxis Geschäftsleute zu Terminen chauffieren, braucht Cynthia zwanzig Minuten für eine Strecke.
Cynthia Weller, Anfang 40, durchtrainiert, ist Kalifornierin, Mutter, Weltbürgerin und Ehefrau von Jeff, einem Architekten, der schon in Tokyo, Florenz und Indonesien arbeitete, die Familie immer dabei, und der seit Ende April keinen Job mehr hat in Dubai. Nicht gefeuert sei er, betont Cynthia, nur freigestellt. Er war verantwortlich für eine Luxussiedlung mit Golfplatz für 1,2 Milliarden Dollar, doch die Investoren wurden klamm, alles muss warten.
Wer entlassen wird in dieser Stadt, verliert auch sein Visum, Arbeitslose sind im Geschäftsmodell Dubai nicht vorgesehen. Es bleiben dreißig Tage Zeit, um entweder eine neue Anstellung zu finden oder das Land zu verlassen. »Die Flüge sind gebucht«, sagt Cynthia. Mutter und Töchter kehren zurück nach San Diego. Für Jeff geht die Reise erst mal nach Luanda, Angola, wo er wieder Villen baut und wieder einen Golfplatz. »Bloß kein Mitleid mit uns«, sagt Cynthia und schaut sich müde in ihrem mit Umzugskartons vollgestellten Apartment um, »wir wollten dieses Leben.« Umzüge ist sie gewohnt – nur waren sie bisher freiwillig. Auf den Kartons steht das Logo von Allied Pickfords, laut Eigenwerbung weltgrößte Umzugsfirma, eines der wenigen Unternehmen, deren Geschäfte derzeit blühen im Emirat.
In Sonapur, einem Ort ohne Adresse, dreißig Minuten vom Zentrum entfernt, wohnen die Ameisenmenschen. Sie bauen die gewaltigen Burgen in diesem Sandkasten namens Dubai, sie richten die himmelhohen Türme auf, asphaltieren die Autobahnen, buddeln den Hafen aus, schütten die Inseln ins Meer. 300000 Arbeiter lebten in diesem Camp bis Anfang des Jahres, jetzt sollen es noch 200000 sein, die anderen wurden nach Hause geschickt, nach Indien, Pakistan, Sri Lanka, Afghanistan, Bangladesch, Nepal. Bis zum Horizont reiht sich Block an Block, manche mit Stacheldraht umgeben, dazwischen wellige Wege, knöcheltief mit Staub bedeckt. Vor einer Mauer bietet ein Friseur seine Dienste an, er hat einen ausrangierten Lastwagensessel neben eine Pfütze gestellt und schnippelt nun am Bart eines Kollegen herum. Keine Fotos, bitte! Nebenjobs dieser Art sind im Camp verboten. Vieles ist verboten hier. Wer von draußen kommt, darf nicht rein, »No visitors« steht auf zahlreichen Schildern. Und wer drin ist, darf nicht raus. Sie werden morgens in Bussen auf die Baustellen gefahren und abends wieder ins Lager.
»Es ist wie ein Gefängnis«, sagt Abdul Gaffar, Stahlflechter, wortkarger Wortführer einer Gruppe von Bangladeschern, Leibeigene ihrer indischen Baufirma, ohne Pässe und seit sieben Monaten ohne Lohn. Abdul, Syed, Borhan und Uzzal wohnen zu viert in einem 10-Quadratmeter-Zimmer – reichlich Platz jetzt, findet Borhan, Rohrleger, früher waren sie hier zu acht. An der Decke leiert ein müder Ventilator, ihre Habseligkeiten verwahren die Männer in Koffern unter den Doppelstockbetten, bereit zum Aufbruch. Sie schlagen im Camp die Zeit tot, denn Arbeit gibt es seit Monaten nicht mehr. »Wir gehen vor Gericht«, sagt Abdul. Sie wollen ihr Gehalt, 600 Dirham oder 120 Euro pro Monat; Jobvermittler in der Heimat hatten ihnen das Doppelte versprochen. Die Firma wolle sie nicht entlassen, weil sie dann die Rückflüge bezahlen müsste, erklärt Syed, Elektriker.
Im Plastik Beach Club, einer Open-Air-Disco mit Strandanschluss, wo die Jeunesse dorée direkt mit Papas Jacht vorfahren kann, bewegen sich spindeldürre Jordanierinnen und Iranerinnen in Porno-Bikinis zu orientalischem House, sie rühren die Füße nicht von der Stelle, zu gefährlich bei den Absätzen. Das Plastik wirbt mit dem Slogan Exclusively For The Filthy Rich And Aesthetically Perfect, nur für Stinkreiche und ästhetisch Einwandfreie. In Jacuzzis liegen verwöhnte Söhne mit Carrera-Sonnenbrillen und schlürfen Drinks, ein Gin Tonic kostet die Hälfte eines Bauarbeiterlohns. Eine Gruppe Deutscher sitzt auf Sofas um eine Wasserpfeife herum, sie haben eine 9-Liter-Flasche Moët & Chandon geköpft, um einen Geschäftsabschluss zu feiern, Heiner aus Passau sagt, man habe ein paar Öl- und Gasfelder in Alaska gekauft. Heiner ist eine große Nummer hier, »ich hab vor Jahren für den Michael Schumacher eine Wohnung besorgt in der Stadt«. Rasha, einem jungen Kenianer, der in Dubai Business Affairs studiert, fällt auf, dass immer weniger Westler ins Plastik kommen in letzter Zeit, »die meisten von denen hauen ab«. Die Westler seien zu weich, findet Rasha. »Ein bisschen Krise, und sie kriegen gleich kalte Füße.«
Bis zu ihrer Entlassung hat die Britin Joanna Brodrick selber Leute entlassen. Von den 250 Angestellten der Unternehmensberatung, bei der sie Personalchefin war, blieben am Schluss noch dreißig übrig, im Februar war sie selber dran. Sie blickt aus dem Fenster ihrer Wohnung auf den Burj Dubai, den höchsten Wolkenkratzer der Welt, 818 Meter, unvollendet, ein viel zu hohes Versprechen. »Lovely«, sagt Joanna, »isn’t it?« Das Ding sieht aus wie eine gewaltige Cruise-Missile. Eine Weile noch hat sich Joanna nach einer neuen Aufgabe umgesehen, fuhr also jeden Monat, weil ihr Visum auslief, über die Grenze nach Oman und zurück, so kriegt man ein neues 30-Tage-Visum. Joanna erstickt ihre Marlboro Ultra Light im Aschenbecher, »das wars dann«, sagt sie. Ihr Flug nach London ist gebucht – one way und Economy-Class. Zum Schuljahresende werde es einen Massenexodus geben, Tausende entlassene expats mit Kindern warten nur noch dieses Datum ab.
Joanna hat nicht viele Freunde gefunden in Dubai, »die Stadt zieht lauter dysfunktionale Leute an«, findet sie. Dubais expatriates, sagt sie, arbeiten hart, leben schnell und promiskuitiv. Die meisten seien vor irgendetwas hierher geflohen, vor einer persönlichen Krise, einem drohenden Prozess, einer Scheidung – bei ihr selbst war es nicht anders. »Niemand schlägt Wurzeln, das Leben ist frei von privater Verantwortung. Das ist schlecht für den Charakter.« Aber arbeiten und Geld verdienen, das können die expats . Wer wird an ihre Stelle rücken?
Joanna beobachtet eine Wachablösung bei den Jobs im mittleren Kader, »man stellt jetzt Inder und Asiaten an«, denn die arbeiten für 50 bis 60 Prozent des Gehalts eines Weißen. »Und diese Leute« – Joanna bittet darum, ihre Aussagen nicht rassistisch zu verstehen, sie spreche schlicht aus Erfahrung –, »…diese Leute haben nicht denselben Ausbildungsstandard wie wir Westler. Sie haben nicht unser Tempo, unsere Genauigkeit. Die packen das nicht.« Dubai, so Joanna, werde nun unter einem Braindrain leiden.
Als Palme im Meer ist The Palm Jumeirah nur aus der Luft zu erkennen, so wie Dubais Planer überhaupt mehr an die Vogelperspektive gedacht haben als an jene der Bewohner auf dem Boden. Von dort sieht man einfach kilometerlange, sanft gebogene Straßen, die lückenlos von beinah identischen Arabesque-Villen gesäumt sind. Es ist der kleinste und als Einziger vollendete der drei geplanten palmenförmig angelegten künstlichen Inselkomplexe, mit denen Dubai seine Küstenlinie um mehrere Hundert Kilometer verlängern will. Der Besucher, wenn ihm der Zugang gelingt zur gated community, diesem von Uniformierten bewachten Privatwohnbereich, sieht das Meer vor lauter Häusern nie.
Die Straßen oder Zweige der Palme heißen konsequenterweise »Wedel«, und so hat der Immobilienmakler und Regierungsberater James Fox die Adresse »Wedel F, Villa 62«. James, ein Hüne mit Bubengesicht, ist Australier. Am Privatstrand seiner Residenz stehend, ein Bier in der Hand, nennt er das, was derzeit für Tausende von Hausbesitzern in Dubai den finanziellen Ruin bedeutet, nüchtern eine »notwendige Korrektur des Marktes«.
Die Preise für Wohneigentum sind in Dubai in diesem Jahr um 40 Prozent eingebrochen. »Gut so«, sagt James, denn was hier zuvor passiert ist, sei Wahnsinn. »Die Leute kauften Häuser, die erst auf dem Plan existierten, und verkauften sie eine Woche später zum doppelten Preis.« Virtuelle Immobilien wurden zu Spekulationsobjekten. Jeder wurde zum Makler. James erzählt von einem 20-jährigen Rucksackreisenden aus Japan, der für zwei Wochen ins Land kam, um ein paar inexistente Häuser zu kaufen und wieder zu verkaufen, »als er nach Hause ging, hatte er ein paar Millionen verdient. Schlauer Bursche.« Alles erinnert ihn an die Dotcom-Blase der Neunziger, an den Zusammenbruch der New Economy. »Ersetze Dotcom durch Real Estate, und du hast Dubai im Jahr 2009.«
An der Spitze der Palme steht mitten im Meer das Hotel Atlantis. Um sich dieses Bauwerk vorzustellen, muss man an Ceauşescus Regierungspalast denken, diesen durch Aladins Wunderlampe drehen und jeden Rest guten Geschmacks subtrahieren. Die Eröffnungsparty im November 2008, war zu lesen, kostete 21 Millionen Dollar, das Feuerwerk soll auch vom Weltall aus gut zu sehen gewesen sein. Im 11 Millionen Liter starken Aquarium, Herzstück des Hauses, schwimmt neben diversen Mantarochen ein vier Meter langer Walhai, Sammy genannt. Wer für mehrere Tausend Dollar pro Nacht – die Preise schwanken krisenbedingt extrem – die verglaste Poseidon-Suite mietet, kann Sammy vom Bett aus gute Nacht sagen.
Im Atlantis ist an diesem Tag Gelegenheit, Scheich Mohammed bin Raschid al-Maktum zu sehen, den Herrscher von Dubai und Vizepräsidenten der Vereinigten Arabischen Emirate, berühmt für seine Vollblüterzucht und die Geschwindigkeit der von ihm erlassenen Gesetze. Seine Auftritte sind so selten wie seine Macht absolut ist, zahlreich prangt sein riesenhaftes Konterfei in der Stadt. Er wird das Arabian Media Forum eröffnen, wo sich Dubais Meinungsführer zu einer Jetzt-erst-recht-Konferenz treffen, um sich Mut zu machen.
Der Scheich, in weißes Tuch gehüllt, umgeben von in weiße Tücher gehüllten Sicherheitsleuten, hält keine Rede, sondern empfängt bloß minutenlangen Applaus und setzt sich hin. Scheich Mo, wie man ihn zärtlich nennt, ist der Vorstandsvorsitzende der Dubai AG, er hat eine ganze Stadt zum Business-Modell gemacht, doch eine Krise gehörte nicht zur Versuchsanordnung in diesem größten Wirtschaftsexperiment aller Zeiten. In der Freizeit schreibt er Gedichte. Auf dem geplanten Inselreich Palm Jebel Ali, Realisierung verschoben, sollen Hunderte Häuser auf Stelzen so angeordnet werden, dass sie, vom Himmel betrachtet, arabische Schriftzeichen formen, die einen seiner Verse zitieren: »Nimm die Weisheit von den Weisen; es braucht einen Mann mit Visionen, um auf Wasser schreiben zu können; nicht jeder, der ein Pferd reitet, ist ein Jockey.« Dubai hat für seine Visionen 80 Milliarden Dollar Schulden angehäuft. Der Nachbar Abu Dhabi, der über 94 Prozent der Ölreserven der Emirate verfügt, musste im Februar einen Notfonds von 10 Milliarden bereitstellen, damit Dubai seinen Verpflichtungen nachkommen konnte.
Vielleicht lief alles etwas zu schnell. Ein Dorf für Perlentaucher, entdeckte Dubai nach der Unabhängigkeit von den Briten 1971 ein paar Ölfelder, und dann ging es in nur drei Dekaden aus dem 18. ins 21. Jahrhundert. In den letzten zehn Jahren lag das durchschnittliche Wirtschaftswachstum bei 13 Prozent. Zuweilen verloren die Stadtplaner den Überblick. Im Villenviertel Jumeirah werden derzeit zahlreiche Luxusneubauten, eben erst errichtet, wieder eingerissen, um Platz zu schaffen für einen künstlichen Meeresarm, kleiner Planungsfehler, die Bewohner erhalten anderswo neue Häuser. Auch das Kanalisationssystem konnte nicht Schritt halten mit dem Tempo der Entwicklung, weite Teile der Stadt sind ohne Anschluss. Entsorgt wird hier mit Lastwagen, die das Abwasser aus Tanks saugen und es dann in die einzige Kläranlage der Stadt bringen. Im Gebiet der Hatta Road, 35 Kilometer landeinwärts, kann man das ganze Jahr über die endlose Kolonne von Faulschlammtransportern sehen, deren Fahrer 24 Stunden im Stau verbringen bis zum Ziel, manchmal auch mehr. Manchen Fahrern wird das zu lang. Sie schütten ihre Ladungen in Gruben oder Gullys am Straßenrand. Vor Monaten vermeldeten Medien üble Gerüche an den Stränden, Fäkalien trieben im Meer, der exklusive Dubai Offshore Sailing Club sagte Segelstunden ab. Schlechte Werbung für das High-End-Ferienparadies, das 2008 acht Millionen Touristen beherbergte, die Regierung rechnet für 2015 mit der doppelten Zahl.
Kayla und Hendrick (Namen geändert) haben ihr Apartment vor einem Jahr für 2,8 Millionen Dollar gekauft, inzwischen ist es noch gut die Hälfte wert. Der Blick vom Balkon im zehnten Stock geht zwischen den Türmen des Marinaviertels hindurch bis zum Meer, im Hof ist ein Swimmingpool, Tochter Jewel guckt die Simpsons auf High-Definition-TV. Eines der Kinderzimmer vermieten sie seit Kurzem an einen Bekannten, um das Budget zu schonen. »Wir haben Schulden, unser Geld reicht noch bis Ende des Monats«, sagt Kayla. »Dann müssen wir fliehen.« Vor sechs Jahren kamen sie aus Pretoria, zwei von drei Kindern wurden hier geboren, sie wollten Dubai zu ihrer Heimat machen, doch jetzt hat das Emirat das Paar aus Südafrika zu Kriminellen gemacht. Beide haben sie kürzlich ihre Stellen verloren, sie war Head of Business Development, er Senior Consultant.
Sie können die Kosten für ihr Global-Class-Leben nicht mehr bezahlen. Wer in Dubai ein Auto auf Raten kauft oder ein Darlehen aufnimmt oder eine Kreditkarte beantragt, muss als Sicherheit einen Scheck hinterlegen. Kommt der Schuldner seinen Verpflichtungen nicht nach, löst der Gläubiger den Scheck ein. Wenn Kaylas und Hendricks Konto leer ist, müssen sie ins Gefängnis, denn ein ungedeckter Scheck ist ein Verbrechen in Dubai. Die Gefängnisse, melden Hilfsorganisationen, sind voll. Auch das Konzept eines Bankrotts kommt nicht vor in diesem Rechtssystem, finanzielles Scheitern ist ein Straftatbestand. Kayla wird mit den Kindern zuerst fliegen, das Datum steht, Hendrick soll ihnen später folgen, damit es nicht zu verdächtig aussieht. »Wir lassen alles zurück«, sagt Kayla, die Wohnung, die Möbel, das Auto, ihre Träume. Sie werden nie mehr zurückkommen können.
Hendrick wird am Schluss mit seinem Geländewagen, mit dem er wochenends gern in der Wüste zum »Dünenprügeln« herumraste, Hauptspaß der expats, zum Flughafen fahren und ihn dort stehen lassen, so wie das in den letzten Monaten Hunderte getan haben. Im März machten Meldungen über bis zu dreitausend ausgesetzte Automobile am Dubai International Airport Schlagzeilen, Mercedes, Audi, zahlreiche Offroader, auch Sportwagen, viele davon mit Schlüssel im Zündschloss und einer entschuldigenden Notiz des Besitzers hinter dem Scheibenwischer. Die Regierung hat die Zahlen als übertrieben bezeichnet, aber keine eigenen genannt.
Peter Harradine wird bleiben. »Bisschen Geduld jetzt, die Scheichs werden das Problem schon lösen«, sagt er mit Marlboro-Mann-Stimme und fährt mit dem Golfwägelchen einen der Hügel auf dem Jebel Ali Golf Course hinauf, den er entworfen hat. Das ist sein Metier, Golfplätze bauen, Wüste in Parks verwandeln. »Etwa 160 Stück« hat der 69-jährige Schweizer bisher designt, in aller Welt. In Dubai stammen auch fast alle öffentlichen Parks von ihm, seine Gartenbaufirma ist für deren Pflege zuständig. »Tausend Leute waren wir bis vor vier Monaten«, sagt Peter, »jetzt noch sechshundert.« Drei seiner Golfplatz-Projekte kommen nicht vom Fleck, zwei davon gehören zur Vergnügungsstadt Dubailand, die doppelt so groß werden soll wie Disneyland, von der aber noch fast nichts steht. Vertagt, alles vertagt.
Peter hat die Nase voll vom Krisengerede. Man müsse die Relationen sehen, sagt er. Was hier geschehen ist in den letzten 15 Jahren, sei nicht weniger als ein Wunder. Er weist über den Rand des Golfplatzes hinaus, wo nackte, öde Wüste liegt. So sah es hier damals überall aus. Dubai, sagt Peter, war nichts. Es hatte keine Geschichte, keine Kultur, kaum Öl und kein Geld, ein Beduinenkaff im Sand, »und sechs Monate pro Jahr ist das Klima ein Scheißdreck«. Und hier, ausgerechnet hier, bauten sie das Atlantis der Gegenwart.
Aber Atlantis, wenn es je existierte, war nicht von Dauer. Innerhalb eines einzigen Tages und einer unglückseligen Nacht wurde es zerstört, sagt Platon. So schlimm wird es nicht kommen. Doch Dubai steht für ein Kapitel, das zu Ende geht. Es verkörpert alles, was künftig nicht mehr gelten soll: das Anything-goes-Prinzip, die unbegrenzten Renditen, das Primat des Kapitals, die radikale Kluft zwischen Arm und Reich, die Ignoranz gegenüber der Ökologie, die Abhängigkeit vom Öl, betonharten statt sanften Tourismus, eine Gesellschaft ohne Mitsprache des Bürgers. Dubai, die Stadt von morgen, ist eine Idee von gestern.
Peter schmeißt einen Golfball in einen Teich, er sinkt nicht, das Wasser ist salziger als jenes im Toten Meer. Er schüttelt den Kopf. Dubai werde nicht untergehen, sagt er. No way. Die arabische Welt brauche weiterhin einen Knotenpunkt, die Welt ein Drehkreuz zwischen Ost und West. Die Stadt werde sich so schnell an die neuen Zeiten anpassen, wie sie entstanden ist. »Die Welt will ein Öko-Dubai? Kann sie haben. Bauen wir halt um!« Das geht schnell hier. In seinem Heimatdorf im Tessin, erzählt Peter, brauchten die Behörden dreieinhalb Jahre, um einen Kreisel zu realisieren, »in dieser Zeit hat Dubai den höchsten Turm der Welt aufgestellt«. Für ihn bleibt dieser Ort der beste, um der Zukunft entgegenzugehen.
Vorerst wird Utopia gesundgeschrumpft. Peter erhielt kürzlich Besuch von Regierungsvertretern, wegen der bestellten Golfplätze, »und die sagten zu mir: ›Peter, wir haben kein Geld mehr, aber wir möchten bald weiterbauen, gehts auch für die Hälfte?‹« Der Mann, der die Wüste begrünt, lacht schallend. Zum Abschied gibt er flüsternd einen Ratschlag mit: Jetzt, sagt er, jetzt seien die Preise tief wie nie, jetzt müsse man hier investieren! Das, allerdings, klingt ganz nach dem alten Dubai.