Moin 8)
Agenda
Mieterschreck Gagfah
Mit dem Immobilienunternehmen Gagfah übernahm US-Finanzinvestor Fortress Tausende Wohnungen. Damit die Rendite stimmt, wurden die Häuser vernachlässigt - nicht nur das Geschäftsmodell könnte in sich zusammenzufallen. von Meike Schreiber Wuppertal
http://www.ftd.de/unternehmen/industrie/:agenda-mieterschreck-gagfah/50087372.html
Direkt unter dem Loch in der Decke der zweiten Etage steht ein Eimer. Daneben liegt ein Putzlumpen. "Wenn es schlimm regnet, läuft sonst das Wasser die Treppe runter bis in die Wohnung da unten", sagt Marlies Bischoff angeekelt. Die 72-Jährige wohnt in einer der rund 720 Wohnungen eines Wohnsilos in Wuppertal-Rehsiepen. Wenn man das noch wohnen nennen kann: Von den Außenwänden der Häuser aus den 70er-Jahren fallen Schieferplatten, die blassgrün gestrichenen Treppenhauswände schimmeln, an den Decken hängen Spinnenweben, die Tapete hat riesige Löcher.
Die marode Hochhaussiedlung gehört der Gagfah. Mit bundesweit 170.000 Wohneinheiten und mehr als 350.000 Mietern ist das Unternehmen Deutschlands größter börsennotierter Immobilienkonzern. Die Konzernzentrale steht in Essen, offizieller Firmensitz ist Luxemburg. Mehrheitsaktionär ist der angeschlagene US-Finanzinvestor Fortress. Und das ist das Problem.
Seit Monaten beklagen Mieterschützer und Immobilienexperten, dass der Investor aus Übersee die deutsche Tochter bis auf den letzten Cent ausquetsche. Zulasten der Mieter. "Fortress schickt die Gagfah auf den Strich. Die muss Knete ranschaffen, egal wie", sagt ein Gagfah-Insider. Die eher investorenfreundliche "Immobilien Zeitung" schreibt: "Die Gagfah wird behandelt wie ein Steinbruch." Und Sven Janssen, Immobilienanalyst bei Sal. Oppenheim, sagt sogar: "Die Frage ist, wann genau das Kartenhaus zusammenbricht." Willkommen im Heuschreckenland - betreten auf eigene Gefahr.
Es ist wie ein böses Erwachen. Laut dem Maklerhaus Cushman & Wakefield erwarben Finanzinvestoren zwischen 2003 und 2008 dank billiger Kredite rund 870.000 Wohnungen in Deutschland. Die Geschäftsidee war simpel: Die Immobilientöchter mussten für die Schulden aufkommen und Sonderdividenden ausschütten, anschließend wurden sie umgebaut, ausgeschlachtet, weiterverkauft.
Für Fortress hieß das: Schlecht verwaltete Wohnungsbestände erwerben, Verwaltungskosten senken, Mieten erhöhen, Wohnungen an Mieter verkaufen - und schrittweise alles wieder losschlagen. 2004 kauften die Amerikaner 81.000 Wohnungen der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, darunter auch die 720 Wohnungen in Wuppertal-Rehsiepen. Dazu kauften sie Tausende kommunale Wohnungen, zum Beispiel 48.000 in Dresden. Der Aufschrei damals war groß. Viele Mieter fürchteten, dass die Investoren nur Geld verdienen wollten. Doch die Ängste wurden angesichts der verlockenden Geschäfte beiseitegewischt.
Nun ist es so weit. Zwar verhalten sich die meisten Finanzinvestoren vergleichsweise sittsam, etwa der britische Investor Terra Firma mit seiner Tochter Deutsche Annington oder die zu Goldman Sachs gehörende GSW und die Landesentwicklungsgesellschaft Nordrhein-Westfalen. Doch der Fall Gagfah zeigt, dass die Sorgen der Kritiker nicht unbegründet waren.
Spätestens seit dem Ausbruch der Finanzkrise geht das Gagfah-Konzept nicht mehr auf. Viele Geldgeber von Fortress, meist Pensionsfonds und Versicherungen in den USA, wollen ihr Geld wiederhaben.
Die Aktie stürzte ab, an eine Kapitalerhöhung ist nicht zu denken. "Spätestens ab 2008 hat es nicht mehr funktioniert", sagt ein Insider. Im Jahr 2013 müssen Kredite über 5 Mrd. Euro verlängert werden. "Wir gehen davon aus, die Finanzierung frühzeitig zu attraktiven Konditionen verlängern zu können", sagt eine Sprecherin.
Allerdings: Ob die Banken wirklich weiter mitspielen, dürfte Fortress relativ egal sein. Über hohe Dividenden und den Börsengang dürfte der Investor seine Renditeziele schon erreicht haben. Es geht im Wesentlichen darum, kurzfristig Kasse zu machen. Vor Steuern erwirtschaftet die Gagfah zwar seit mehreren Quartalen Verluste: 2009 war es ein Minus von 92 Mio. Euro. Doch jedes Quartal schüttet die Firma eine Dividende von 45 Mio. Euro aus , zum Großteil finanziert aus dem Eigenkapital, das stetig schmilzt.
"Die Gagfah ist Fortress' einzige Cashcow. Kurzfristig kann man dort sehr gut Geld herausziehen", sagt ein Gagfah-Insider. Das Unternehmen selbst macht keinen Hehl daraus: Es sei nach wie vor das Ziel, die laufenden Einnahmen zu einem großen Teil an alle Aktionäre auszuschütten, so eine Sprecherin. Davon profitierten alle Anteilseigner: Kleinaktionäre, institutionelle Investoren, vor allem aber Fortress.
Die Amerikaner bestimmen auch längst die Geschäfte des Immobilienkonzerns. Das Management ist fast komplett ausgetauscht. Der Vorstandschef Burckhard Drescher, ehemaliger SPD-Bürgermeister von Oberhausen, wurde Anfang 2009 durch den Fortress-Manager William Joseph Brennan ersetzt. Ein halbes Jahr später verließ auch Finanzvorstand Rolf Glessing das Unternehmen, im Streit über die Ausschüttungspolitik, wie es in Branchenkreisen heißt. Und über den Verwaltungsrat bestimmen die Fortress-Mitgründer Wesley Edens, Randal Nardone und Robert Kauffman die Geschäftspolitik mit.
Ausbaden müssen das Mieter wie Marlies Bischoff. Seit 1972 wohnt sie in ihrer 71 Quadratmeter großen Wohnung. Die Warmmiete von 508 Euro kann die verwitwete Rentnerin zahlen, doch das Drumherum erträgt sie kaum, das verwahrloste Treppenhaus, die schmuddelige Außenfassade - und diese merkwürdige Nebenkostenabrechnung. Sie soll höhere Müllgebühren zahlen für Sperrmüll, der nicht von ihr stammt.
Hinzu kommt ein Posten für die "Wartung für hauseigene Anlagen", der laut ihrem Anwalt nicht weiter erklärt ist. Zusatzkosten pro Monat: 25 Euro. Die Gagfah hält dagegen, die Sperrmüllbeseitigung würde in diesem Objekt seit Jahren umgelegt: "Das rührt daher, dass Sperrmüll immer wieder in der Anlage oder den Kellern verbotenerweise abgestellt wird." Laut Rechtsprechung darf der Vermieter diese Kosten allerdings nur im Einzelfall umlegen. Ob Frau Bischoff sie zahlen muss, soll nächste Woche ein Gericht klären.
Doch das ist nicht der einzige Trick, um die Einnahmen zu erhöhen. Die Gagfah-Sachbearbeiter werden über ein raffiniertes Anreizsystem gesteuert, sagt ein Insider. Sie verwalten im Schnitt 650 Wohnungen und werden nach Umsatz bezahlt. Ein auf Rendite und Gier getrimmtes System: Wird ein vorher festgelegter und ehrgeizig berechneter Mietumsatz eingehalten, erhalten die Mitarbeiter ein zusätzliches Monatsgehalt. Das hat Folgen: Machen etwa Bewohner wegen Bauarbeiten Mietminderungen geltend, bügeln viele Sachbearbeiter das ab, solange es geht. "Bringt ein Sachbearbeiter seinen Umsatz nicht, wird er abgemahnt. Manche wissen sich nicht anders zu helfen, als die Mieter anzulügen", sagt ein weiterer Insider, der anonym bleiben will. Die Gagfah bestätigt mögliche Prämien, zum Rest nimmt das Unternehmen keine Stellung.
Am meisten spart die Gagfah bei Instandhaltung und Reparaturen. Zwar hat sie beim Kauf der Wohnungen oft eine Sozialcharta unterschrieben; sie legt jedoch nur fest, dass die Mieten nicht unendlich steigen und Luxussanierungen unterbleiben. Zur Investitionshöhe gibt es keine Vorgaben. "Wir investieren ordentlich in die Instandhaltung unserer Wohnungen", sagt eine Sprecherin. "Damit halten wir unsere Wohnungen auf einem vernünftigen Standard."
Die Zahlen sprechen eine andere Sprache: Wurden 2008 noch 90,6 Mio. Euro in den Erhalt der Häuser investiert, waren es 2009 nur noch 66,2 Mio. Euro. Pro Quadratmeter sanken die reinen Instandhaltungskosten von 8,33 Euro auf 6,61 Euro, die addierten Instandhaltungs- und Modernisierungausgaben auf knapp 8 Euro - branchenüblich sind für einen älteren Bestand mindestens 12 Euro. "Das ist verdammt wenig", sagt Stefan Kofner, Professor für Bauwesen an der Universität Zittau. Der Experte für den Wohnimmobilienmarkt hat unter anderem dem Dresdner Stadtrat Auskunft zur Gagfah gegeben.
Was die Zahlen bedeuten, kann man an den Außenfassaden in Wuppertal sehen: Seit etwa drei Jahren lösen sich die Schieferplatten, einzelne sind schon herabgefallen. Auch die Gagfah weiß um den Sanierungsbedarf. "Es besteht an allen untersuchten Gebäuden eine akute Absturzgefahr für Schiefer", heißt es in einem Gutachten vom April 2008, das die Gagfah in Auftrag gegeben hat und das der FTD vorliegt.
Der Schieferbehang müsse "grundhaft saniert werden", Kosten: 1,2 bis 2,2 Mio. Euro. Fortress gab daraufhin ein zweites Gutachten in Auftrag, sagen Insider, das zu dem Schluss komme, ein Gerüst würde erst einmal reichen, um die Mieter zu schützen. Gehwege und Eingangsbereiche sind inzwischen mit Baugerüsten überdacht. Laut der Gagfah-Sprecherin werden die losen Platten bis Mai entfernt oder befestigt. Dann würden auch die Gerüste entfernt. Die örtlichen Mieterschützer bleiben skeptisch. "Die Gagfah kündigt die Sanierung jetzt schon seit fast zwei Jahren an, ohne dass etwas passiert ist", sagt Bruno Wortmann vom Mieterverein Wuppertal.
Es eilt ja nicht: Dass die Mieter wegziehen, ist unwahrscheinlich. Nach Angaben der Stadt sind die Hälfte der Bewohner Migranten, mehr als ein Drittel aller Bewohner leben von der Stütze. Für sie zahlt das Arbeitsamt Miete und Nebenkosten. Auch Marlies Bischoff "will auf keinen Fall weg", einfach, weil sie schon so lange dort wohnt. "Und solange die Mieter nicht anfangen, massenweise auszuziehen", sagt Experte Kofner, "sitzen die das eben einfach aus."
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Agenda
Mieterschreck Gagfah
Mit dem Immobilienunternehmen Gagfah übernahm US-Finanzinvestor Fortress Tausende Wohnungen. Damit die Rendite stimmt, wurden die Häuser vernachlässigt - nicht nur das Geschäftsmodell könnte in sich zusammenzufallen. von Meike Schreiber Wuppertal
http://www.ftd.de/unternehmen/industrie/:agenda-mieterschreck-gagfah/50087372.html
Direkt unter dem Loch in der Decke der zweiten Etage steht ein Eimer. Daneben liegt ein Putzlumpen. "Wenn es schlimm regnet, läuft sonst das Wasser die Treppe runter bis in die Wohnung da unten", sagt Marlies Bischoff angeekelt. Die 72-Jährige wohnt in einer der rund 720 Wohnungen eines Wohnsilos in Wuppertal-Rehsiepen. Wenn man das noch wohnen nennen kann: Von den Außenwänden der Häuser aus den 70er-Jahren fallen Schieferplatten, die blassgrün gestrichenen Treppenhauswände schimmeln, an den Decken hängen Spinnenweben, die Tapete hat riesige Löcher.
Die marode Hochhaussiedlung gehört der Gagfah. Mit bundesweit 170.000 Wohneinheiten und mehr als 350.000 Mietern ist das Unternehmen Deutschlands größter börsennotierter Immobilienkonzern. Die Konzernzentrale steht in Essen, offizieller Firmensitz ist Luxemburg. Mehrheitsaktionär ist der angeschlagene US-Finanzinvestor Fortress. Und das ist das Problem.
Seit Monaten beklagen Mieterschützer und Immobilienexperten, dass der Investor aus Übersee die deutsche Tochter bis auf den letzten Cent ausquetsche. Zulasten der Mieter. "Fortress schickt die Gagfah auf den Strich. Die muss Knete ranschaffen, egal wie", sagt ein Gagfah-Insider. Die eher investorenfreundliche "Immobilien Zeitung" schreibt: "Die Gagfah wird behandelt wie ein Steinbruch." Und Sven Janssen, Immobilienanalyst bei Sal. Oppenheim, sagt sogar: "Die Frage ist, wann genau das Kartenhaus zusammenbricht." Willkommen im Heuschreckenland - betreten auf eigene Gefahr.
Es ist wie ein böses Erwachen. Laut dem Maklerhaus Cushman & Wakefield erwarben Finanzinvestoren zwischen 2003 und 2008 dank billiger Kredite rund 870.000 Wohnungen in Deutschland. Die Geschäftsidee war simpel: Die Immobilientöchter mussten für die Schulden aufkommen und Sonderdividenden ausschütten, anschließend wurden sie umgebaut, ausgeschlachtet, weiterverkauft.
Für Fortress hieß das: Schlecht verwaltete Wohnungsbestände erwerben, Verwaltungskosten senken, Mieten erhöhen, Wohnungen an Mieter verkaufen - und schrittweise alles wieder losschlagen. 2004 kauften die Amerikaner 81.000 Wohnungen der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, darunter auch die 720 Wohnungen in Wuppertal-Rehsiepen. Dazu kauften sie Tausende kommunale Wohnungen, zum Beispiel 48.000 in Dresden. Der Aufschrei damals war groß. Viele Mieter fürchteten, dass die Investoren nur Geld verdienen wollten. Doch die Ängste wurden angesichts der verlockenden Geschäfte beiseitegewischt.
Nun ist es so weit. Zwar verhalten sich die meisten Finanzinvestoren vergleichsweise sittsam, etwa der britische Investor Terra Firma mit seiner Tochter Deutsche Annington oder die zu Goldman Sachs gehörende GSW und die Landesentwicklungsgesellschaft Nordrhein-Westfalen. Doch der Fall Gagfah zeigt, dass die Sorgen der Kritiker nicht unbegründet waren.
Spätestens seit dem Ausbruch der Finanzkrise geht das Gagfah-Konzept nicht mehr auf. Viele Geldgeber von Fortress, meist Pensionsfonds und Versicherungen in den USA, wollen ihr Geld wiederhaben.
Die Aktie stürzte ab, an eine Kapitalerhöhung ist nicht zu denken. "Spätestens ab 2008 hat es nicht mehr funktioniert", sagt ein Insider. Im Jahr 2013 müssen Kredite über 5 Mrd. Euro verlängert werden. "Wir gehen davon aus, die Finanzierung frühzeitig zu attraktiven Konditionen verlängern zu können", sagt eine Sprecherin.
Allerdings: Ob die Banken wirklich weiter mitspielen, dürfte Fortress relativ egal sein. Über hohe Dividenden und den Börsengang dürfte der Investor seine Renditeziele schon erreicht haben. Es geht im Wesentlichen darum, kurzfristig Kasse zu machen. Vor Steuern erwirtschaftet die Gagfah zwar seit mehreren Quartalen Verluste: 2009 war es ein Minus von 92 Mio. Euro. Doch jedes Quartal schüttet die Firma eine Dividende von 45 Mio. Euro aus , zum Großteil finanziert aus dem Eigenkapital, das stetig schmilzt.
"Die Gagfah ist Fortress' einzige Cashcow. Kurzfristig kann man dort sehr gut Geld herausziehen", sagt ein Gagfah-Insider. Das Unternehmen selbst macht keinen Hehl daraus: Es sei nach wie vor das Ziel, die laufenden Einnahmen zu einem großen Teil an alle Aktionäre auszuschütten, so eine Sprecherin. Davon profitierten alle Anteilseigner: Kleinaktionäre, institutionelle Investoren, vor allem aber Fortress.
Die Amerikaner bestimmen auch längst die Geschäfte des Immobilienkonzerns. Das Management ist fast komplett ausgetauscht. Der Vorstandschef Burckhard Drescher, ehemaliger SPD-Bürgermeister von Oberhausen, wurde Anfang 2009 durch den Fortress-Manager William Joseph Brennan ersetzt. Ein halbes Jahr später verließ auch Finanzvorstand Rolf Glessing das Unternehmen, im Streit über die Ausschüttungspolitik, wie es in Branchenkreisen heißt. Und über den Verwaltungsrat bestimmen die Fortress-Mitgründer Wesley Edens, Randal Nardone und Robert Kauffman die Geschäftspolitik mit.
Ausbaden müssen das Mieter wie Marlies Bischoff. Seit 1972 wohnt sie in ihrer 71 Quadratmeter großen Wohnung. Die Warmmiete von 508 Euro kann die verwitwete Rentnerin zahlen, doch das Drumherum erträgt sie kaum, das verwahrloste Treppenhaus, die schmuddelige Außenfassade - und diese merkwürdige Nebenkostenabrechnung. Sie soll höhere Müllgebühren zahlen für Sperrmüll, der nicht von ihr stammt.
Hinzu kommt ein Posten für die "Wartung für hauseigene Anlagen", der laut ihrem Anwalt nicht weiter erklärt ist. Zusatzkosten pro Monat: 25 Euro. Die Gagfah hält dagegen, die Sperrmüllbeseitigung würde in diesem Objekt seit Jahren umgelegt: "Das rührt daher, dass Sperrmüll immer wieder in der Anlage oder den Kellern verbotenerweise abgestellt wird." Laut Rechtsprechung darf der Vermieter diese Kosten allerdings nur im Einzelfall umlegen. Ob Frau Bischoff sie zahlen muss, soll nächste Woche ein Gericht klären.
Doch das ist nicht der einzige Trick, um die Einnahmen zu erhöhen. Die Gagfah-Sachbearbeiter werden über ein raffiniertes Anreizsystem gesteuert, sagt ein Insider. Sie verwalten im Schnitt 650 Wohnungen und werden nach Umsatz bezahlt. Ein auf Rendite und Gier getrimmtes System: Wird ein vorher festgelegter und ehrgeizig berechneter Mietumsatz eingehalten, erhalten die Mitarbeiter ein zusätzliches Monatsgehalt. Das hat Folgen: Machen etwa Bewohner wegen Bauarbeiten Mietminderungen geltend, bügeln viele Sachbearbeiter das ab, solange es geht. "Bringt ein Sachbearbeiter seinen Umsatz nicht, wird er abgemahnt. Manche wissen sich nicht anders zu helfen, als die Mieter anzulügen", sagt ein weiterer Insider, der anonym bleiben will. Die Gagfah bestätigt mögliche Prämien, zum Rest nimmt das Unternehmen keine Stellung.
Am meisten spart die Gagfah bei Instandhaltung und Reparaturen. Zwar hat sie beim Kauf der Wohnungen oft eine Sozialcharta unterschrieben; sie legt jedoch nur fest, dass die Mieten nicht unendlich steigen und Luxussanierungen unterbleiben. Zur Investitionshöhe gibt es keine Vorgaben. "Wir investieren ordentlich in die Instandhaltung unserer Wohnungen", sagt eine Sprecherin. "Damit halten wir unsere Wohnungen auf einem vernünftigen Standard."
Die Zahlen sprechen eine andere Sprache: Wurden 2008 noch 90,6 Mio. Euro in den Erhalt der Häuser investiert, waren es 2009 nur noch 66,2 Mio. Euro. Pro Quadratmeter sanken die reinen Instandhaltungskosten von 8,33 Euro auf 6,61 Euro, die addierten Instandhaltungs- und Modernisierungausgaben auf knapp 8 Euro - branchenüblich sind für einen älteren Bestand mindestens 12 Euro. "Das ist verdammt wenig", sagt Stefan Kofner, Professor für Bauwesen an der Universität Zittau. Der Experte für den Wohnimmobilienmarkt hat unter anderem dem Dresdner Stadtrat Auskunft zur Gagfah gegeben.
Was die Zahlen bedeuten, kann man an den Außenfassaden in Wuppertal sehen: Seit etwa drei Jahren lösen sich die Schieferplatten, einzelne sind schon herabgefallen. Auch die Gagfah weiß um den Sanierungsbedarf. "Es besteht an allen untersuchten Gebäuden eine akute Absturzgefahr für Schiefer", heißt es in einem Gutachten vom April 2008, das die Gagfah in Auftrag gegeben hat und das der FTD vorliegt.
Der Schieferbehang müsse "grundhaft saniert werden", Kosten: 1,2 bis 2,2 Mio. Euro. Fortress gab daraufhin ein zweites Gutachten in Auftrag, sagen Insider, das zu dem Schluss komme, ein Gerüst würde erst einmal reichen, um die Mieter zu schützen. Gehwege und Eingangsbereiche sind inzwischen mit Baugerüsten überdacht. Laut der Gagfah-Sprecherin werden die losen Platten bis Mai entfernt oder befestigt. Dann würden auch die Gerüste entfernt. Die örtlichen Mieterschützer bleiben skeptisch. "Die Gagfah kündigt die Sanierung jetzt schon seit fast zwei Jahren an, ohne dass etwas passiert ist", sagt Bruno Wortmann vom Mieterverein Wuppertal.
Es eilt ja nicht: Dass die Mieter wegziehen, ist unwahrscheinlich. Nach Angaben der Stadt sind die Hälfte der Bewohner Migranten, mehr als ein Drittel aller Bewohner leben von der Stütze. Für sie zahlt das Arbeitsamt Miete und Nebenkosten. Auch Marlies Bischoff "will auf keinen Fall weg", einfach, weil sie schon so lange dort wohnt. "Und solange die Mieter nicht anfangen, massenweise auszuziehen", sagt Experte Kofner, "sitzen die das eben einfach aus."
gfj 6,63 EUR -1,49 % [-0,10]