Fannie & Freddie in der Systemkrise
Krise
08. Juli 2008 Krisen verlaufen selten so, wie man sie in Erinnerung behält: Eine Situation spitz sich zu, wird krisenhaft, steigert sich bis zum Höhepunkt und ebbt dann ab. Das war noch nie der Fall: Selbst in der Weltwirtschaftskrise gab es immer wieder Entspannungsphasen und Zwischenerholungen. Beispielsweise stieg der Dow Jones zwischen November 1929 und April 1930 um 44 Prozent.
Auch die aktuelle Krise verläuft in Schüben und Wellen. Schien sich die Situation im April und mai zu entspannen, so hat sich im Juni die Situation wieder eingetrübt als etwa die Societe Generale ein Investmentvehikel zulasten der Nachranggläubiger liquidierte, die Anleihenversicherer ihre erstklassigen Ratings verloren und offenbar wurde, wie sehr die amerikanischen Regionalbanken dabei sind, Wasser zu treten.
Riesiger Kapitalbedarf?
Am Montagabend folgte dann die nächste, nicht wirklich unerwartete Hiobsbotschaft, die aber, wie so vieles in der Krise, noch in das Reich der Spekulationen gehört. Wobei angemerkt werden muss, dass sich allzu viele Spekulationen später als wahr herausstellten.
KursChartWatchlistAuslöser ist diesmal eine Studie der Analysten der Investmentbank Lehman Brothers, der zufolge die beiden Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac möglicherweise weiteren Kapitalbedarf in Höhe von 75 Milliarden Dollar haben werden, sollten Änderungen in den amerikanischen Bilanzierungsregeln umgesetzt werden, über die derzeit diskutiert wird. Demnach müssten Hypothekenfinanzierer momentan noch außerhalb der Bilanz geführte Verbindlichkeiten in die Bücher übertragen.
Fannie Mae und Freddie Mac garantieren aktuell für Hypothekenkredite in Höhe von 5,2 Billionen Dollar - und damit für rund die Hälfte aller in den Vereinigten Staaten vergebenen Häuserkredite.
Schon jetzt Zweifel an den Kapitalerhöhungen
Sie mussten deshalb bereits empfindliche Verluste und Kapitalerhöhungen in Kauf nehmen. Fannie Mae verzeichnete im ersten Quartal einen Verlust von 2,51 Milliarden Dollar wohingegen Analysten mit einem Viertel dessen gerechnet hatten. Bereits am Jahresende 2007 hatte Fannie Mae bereits einen Rekordverlust von 3,6 Milliarden Dollar verbucht. Sechs Milliarden Dollar neues Kapital brauchte das Institut, nachdem man schon im Dezember Vorzugsaktien im Wert von 7 Milliarden Dollar emittiert hatte.
Freddie Mac übertraf die Erwartungen (positiv), verbuchte einen ein Verlust von 151 Millionen Dollar und kündigte eine Kapitalerhöhung um 5,5 Milliarden Dollar an. Vor wenigen Tagen zog sich der Himmel weiter zu. Die Krise des Immobilien- und Hypothekenmarktes sei erst zur Hälfte überstanden, sagte Freddie-Mac-Finanzvorstand Anthony Piszel der „Börsen-Zeitung“.
Und prompt machten sich Sorgen breit, dass Freddie die geplante Kapitalerhöhung werde plazieren können. Das Unternehmen selbst sah sich auf gutem Weg. Sollten Lehman Brothers aber Recht haben, so könnte das Gebäude der quasi-staatlichen Hypothekenfinanzierung ins Wanken kommen.
Gefährdete Institution
Fannie Mae wurde 1938 als staatliches Institut zur Refinanzierung des Hypothekenmarktes gegründet und 1968 privatisiert und erhielt aber eine staatliche Vorgabe, welche Aufgaben zu erfüllen seien. Freddie Mac ist ähnlich konstituiert und wurde 1968 im Zuge der Privatisierung von Fannie Mae ins leben gerufen, um kein Monopol entstehen zu lassen.
Diese Konstruktion ist nun gefährdet, da fraglich ist, ob dieser eminente Kapitalbedarf von privater Seite wird befriedigt werden können. Gerettet werden die Institutionen sicherlich. So hatte die Aufsichtsbehörde bereits im Mai die Mindestgrenze der Kapitalüberdeckung von 20 auf 15 Prozent gesenkt. Sogar bis auf zehn Prozent könnte die Überdeckung gesenkt werden, wenn das Kapital entsprechend erhöht werden könne.
Doch diese Maßnahmen könnten einer akuten Krise und einem Liquiditätsmangel nicht Herr werden. Geht man nach den Reformbestrebungen im Parlament, so geht die Tendenz dahin, die beiden Unternehmen wieder stärker an die Kandare zu nehmen. Dies ist nicht zuletzt wohl auch eine Auswirkung des Bilanzskandals des Jahres 2003.
Die Sparkassen-Krise erscheint plötzlich klein
Die politischen Entwicklungen hängen wie ein Damokles-Schwert über der Zukunft der beiden unternehmen. Sollte nun auch noch die am Nachmittag veröffentlichten Zahlen zu den schwebenden Hausverkäufen schwach ausfallen, dürfte sich der Kursrutsch fortsetzen.
Bereits jetzt notieren die Aktien von Fannie Mae auf dem niedrigsten Stand seit Juni 1992, die von Freddie Mac knapp über dem Tief vom November 1992, als beide Aktien ihren Tiefststand im Zuge der Krise nach der misslungenen Deregulierung des Sparkassenwesens erreicht hatten.
Indes war die damalige Krise nur eine Krise eines - wenngleich bedeutenden - Teilsystems des amerikanischen Finanzmarktes gewesen. Die aktuelle Krise erfasst das gesamte System. Die Kosten der Krise wurden damals auf 160 Milliarden Dollar geschätzt, die Zahl der Neubauten fiel 1991 auf den niedrigsten Stand seit dem II. Weltkrieg. Rechnet man die 160 Milliarden auf heute hoch, so sind es etwa 250 Milliarden Dollar, weniger als die Banken weltweit bis April abgeschrieben hatten.
Das sind keine guten Nachrichten für die Vereinigten Staaten und schon gar nicht für Aktionäre von Fannie & Freddie. Deren Aktien mögen ja billig erscheinen, doch gilt dies nur in einem stabilen Geschäftsumfeld. Was sich derzeit ereignet, ist kein zyklischer Einbruch des Geschäfts. Vielmehr ist es allein schon angesichts der unabsehbaren Dynamik der Ereignisse eine Krise des Systems, eine Finanzmarktkrise eben, deren wirtschaftliche und institutionelle Folgen für Fannie Mae und Freddie Mac nicht abzusehen sind.
Unbeirrt setzen am Dienstag einige Anleger auf Erholung und trieben die Kurse um vier bis fünf Prozent nach oben. Dabei ist ein Setzen auf technische Faktoren nicht unbedingt falsch - langfristig aber sind die Aussichten ungewiss und ein Investment daher unkalkulierbar.
Die in dem Beitrag geäußerte Einschätzung gibt die Meinung des Autors und nicht die der F.A.Z.-Redaktion wieder.
Text: @mho
Bildmaterial: AFP, F.A.Z.
http://www.faz.net/s/Rub48D1CBFB8D984684AF5F46CE28AC585D/Doc~E8959ABE5A0754E8088D4FB058F9CC592~ATpl~Ecommon~Scontent.html
Krise
08. Juli 2008 Krisen verlaufen selten so, wie man sie in Erinnerung behält: Eine Situation spitz sich zu, wird krisenhaft, steigert sich bis zum Höhepunkt und ebbt dann ab. Das war noch nie der Fall: Selbst in der Weltwirtschaftskrise gab es immer wieder Entspannungsphasen und Zwischenerholungen. Beispielsweise stieg der Dow Jones zwischen November 1929 und April 1930 um 44 Prozent.
Auch die aktuelle Krise verläuft in Schüben und Wellen. Schien sich die Situation im April und mai zu entspannen, so hat sich im Juni die Situation wieder eingetrübt als etwa die Societe Generale ein Investmentvehikel zulasten der Nachranggläubiger liquidierte, die Anleihenversicherer ihre erstklassigen Ratings verloren und offenbar wurde, wie sehr die amerikanischen Regionalbanken dabei sind, Wasser zu treten.
Riesiger Kapitalbedarf?
Am Montagabend folgte dann die nächste, nicht wirklich unerwartete Hiobsbotschaft, die aber, wie so vieles in der Krise, noch in das Reich der Spekulationen gehört. Wobei angemerkt werden muss, dass sich allzu viele Spekulationen später als wahr herausstellten.
KursChartWatchlistAuslöser ist diesmal eine Studie der Analysten der Investmentbank Lehman Brothers, der zufolge die beiden Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac möglicherweise weiteren Kapitalbedarf in Höhe von 75 Milliarden Dollar haben werden, sollten Änderungen in den amerikanischen Bilanzierungsregeln umgesetzt werden, über die derzeit diskutiert wird. Demnach müssten Hypothekenfinanzierer momentan noch außerhalb der Bilanz geführte Verbindlichkeiten in die Bücher übertragen.
Fannie Mae und Freddie Mac garantieren aktuell für Hypothekenkredite in Höhe von 5,2 Billionen Dollar - und damit für rund die Hälfte aller in den Vereinigten Staaten vergebenen Häuserkredite.
Schon jetzt Zweifel an den Kapitalerhöhungen
Sie mussten deshalb bereits empfindliche Verluste und Kapitalerhöhungen in Kauf nehmen. Fannie Mae verzeichnete im ersten Quartal einen Verlust von 2,51 Milliarden Dollar wohingegen Analysten mit einem Viertel dessen gerechnet hatten. Bereits am Jahresende 2007 hatte Fannie Mae bereits einen Rekordverlust von 3,6 Milliarden Dollar verbucht. Sechs Milliarden Dollar neues Kapital brauchte das Institut, nachdem man schon im Dezember Vorzugsaktien im Wert von 7 Milliarden Dollar emittiert hatte.
Freddie Mac übertraf die Erwartungen (positiv), verbuchte einen ein Verlust von 151 Millionen Dollar und kündigte eine Kapitalerhöhung um 5,5 Milliarden Dollar an. Vor wenigen Tagen zog sich der Himmel weiter zu. Die Krise des Immobilien- und Hypothekenmarktes sei erst zur Hälfte überstanden, sagte Freddie-Mac-Finanzvorstand Anthony Piszel der „Börsen-Zeitung“.
Und prompt machten sich Sorgen breit, dass Freddie die geplante Kapitalerhöhung werde plazieren können. Das Unternehmen selbst sah sich auf gutem Weg. Sollten Lehman Brothers aber Recht haben, so könnte das Gebäude der quasi-staatlichen Hypothekenfinanzierung ins Wanken kommen.
Gefährdete Institution
Fannie Mae wurde 1938 als staatliches Institut zur Refinanzierung des Hypothekenmarktes gegründet und 1968 privatisiert und erhielt aber eine staatliche Vorgabe, welche Aufgaben zu erfüllen seien. Freddie Mac ist ähnlich konstituiert und wurde 1968 im Zuge der Privatisierung von Fannie Mae ins leben gerufen, um kein Monopol entstehen zu lassen.
Diese Konstruktion ist nun gefährdet, da fraglich ist, ob dieser eminente Kapitalbedarf von privater Seite wird befriedigt werden können. Gerettet werden die Institutionen sicherlich. So hatte die Aufsichtsbehörde bereits im Mai die Mindestgrenze der Kapitalüberdeckung von 20 auf 15 Prozent gesenkt. Sogar bis auf zehn Prozent könnte die Überdeckung gesenkt werden, wenn das Kapital entsprechend erhöht werden könne.
Doch diese Maßnahmen könnten einer akuten Krise und einem Liquiditätsmangel nicht Herr werden. Geht man nach den Reformbestrebungen im Parlament, so geht die Tendenz dahin, die beiden Unternehmen wieder stärker an die Kandare zu nehmen. Dies ist nicht zuletzt wohl auch eine Auswirkung des Bilanzskandals des Jahres 2003.
Die Sparkassen-Krise erscheint plötzlich klein
Die politischen Entwicklungen hängen wie ein Damokles-Schwert über der Zukunft der beiden unternehmen. Sollte nun auch noch die am Nachmittag veröffentlichten Zahlen zu den schwebenden Hausverkäufen schwach ausfallen, dürfte sich der Kursrutsch fortsetzen.
Bereits jetzt notieren die Aktien von Fannie Mae auf dem niedrigsten Stand seit Juni 1992, die von Freddie Mac knapp über dem Tief vom November 1992, als beide Aktien ihren Tiefststand im Zuge der Krise nach der misslungenen Deregulierung des Sparkassenwesens erreicht hatten.
Indes war die damalige Krise nur eine Krise eines - wenngleich bedeutenden - Teilsystems des amerikanischen Finanzmarktes gewesen. Die aktuelle Krise erfasst das gesamte System. Die Kosten der Krise wurden damals auf 160 Milliarden Dollar geschätzt, die Zahl der Neubauten fiel 1991 auf den niedrigsten Stand seit dem II. Weltkrieg. Rechnet man die 160 Milliarden auf heute hoch, so sind es etwa 250 Milliarden Dollar, weniger als die Banken weltweit bis April abgeschrieben hatten.
Das sind keine guten Nachrichten für die Vereinigten Staaten und schon gar nicht für Aktionäre von Fannie & Freddie. Deren Aktien mögen ja billig erscheinen, doch gilt dies nur in einem stabilen Geschäftsumfeld. Was sich derzeit ereignet, ist kein zyklischer Einbruch des Geschäfts. Vielmehr ist es allein schon angesichts der unabsehbaren Dynamik der Ereignisse eine Krise des Systems, eine Finanzmarktkrise eben, deren wirtschaftliche und institutionelle Folgen für Fannie Mae und Freddie Mac nicht abzusehen sind.
Unbeirrt setzen am Dienstag einige Anleger auf Erholung und trieben die Kurse um vier bis fünf Prozent nach oben. Dabei ist ein Setzen auf technische Faktoren nicht unbedingt falsch - langfristig aber sind die Aussichten ungewiss und ein Investment daher unkalkulierbar.
Die in dem Beitrag geäußerte Einschätzung gibt die Meinung des Autors und nicht die der F.A.Z.-Redaktion wieder.
Text: @mho
Bildmaterial: AFP, F.A.Z.
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