Die Unweigerlichkeiten in einer Krise
von Jochen Steffens
Es war klar, dass Ben Bernanke in Jackson Hole am Freitag kein QE3 ankündigen würde – es wäre die Quasi-Kapitulation der Fed gewesen. Stattdessen reichen die Notenbanker die Aufgabe, die Wirtschaft wieder auf Vordermann zu bringen, an die Politik weiter. Fakt ist aber, die Wirtschaft wird sich immer nur selber aus der Misere ziehen. Die Notenbanken und zu einem gewissen Teil auch die Politik können nur einen günstigen Rahmen schaffen. Letzten Endes entscheiden dann ganz andere Faktoren, ob eine Wirtschaft wieder zu Kräften kommen kann oder nicht.
Und ich bin davon überzeugt, würde man den Einfluss der politischen Entscheidungen in Krisenzeiten auf die tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung hin untersuchen, würde das Ergebnis wahrscheinlich sehr enttäuschend ausfallen.
Aus einer anderen Sichtweise
Das soll jetzt nicht heißen, dass die Politik keinen Einfluss auf die Wirtschaft hat. Sie kann natürlich vieles falsch machen: Hohe Staatsverschuldung, Verschwendung von Geldern, Misswirtschaft, Korruption, falsche Subventionen, Belastungen der Wirtschaft durch Gesetze, zu hohe Steuern, etc. Das sind alles Hebel, die sich zum Teil dramatisch auswirken. Das meine ich nicht.
Der wirtschaftliche Zyklus
Grundsätzlich bewegt sich die Wirtschaft in Zyklen, denen eine gewisse Unweigerlichkeit inne wohnt, und daran kann auch die Politik nichts ändern.
Betrachten wir die Ereignisse, die sich seit vielen Jahrzehnten ständig wiederholen, dazu einmal aus einem makroökonomischen Blickwinkel heraus:
Vorphase eines Crashs
Nach einem langen Boom ist die Investitionsbereitschaft der Industrien wie auch der Anleger sehr hoch. Die Banken verdienen viel Geld mit Aktiengeschäften und verlieren ihre Kernaufgaben, das Einlage- und Kreditgeschäft, aus den Augen. Es ist viel Geld vorhanden, das in verschiedene Anlageformen und besonders in den Aktienmarkt fließt.
Doch irgendwann am Hoch eines Booms ist der Absatzmarkt der Industrie gesättigt. Selbst neue Märkte, wie zum Beispiel im Jahr 2000 das Internet und die Telekommunikation, werden mit neuen Firmen und Investitionskapital so lange zugepflastert, bis auch hier ein hohes Maß an Sättigung erreicht ist. Gleichzeitig fallen die Zukunftsprognose für die Unternehmen aufgrund der langen Boomphase übertrieben optimistisch aus.
Irgendwann wird ein Punkt erreicht, an dem die Unternehmen diese unrealistisch hohen Erwartungen nicht mehr erfüllen können.
Phase 1: Der Crash
Die Kurse haben in dieser Zeit ein unverhältnismäßig hohes Niveaus erreicht, welche selbst diese unrealistischen Erwartungen nicht mehr widerspiegeln. Das geschieht, weil immer noch Anleger zu Mondpreisen kaufen. Da sich also die Bewertung der Aktien weit von der Realität entfernt hat, wird sie sich irgendwann dieser Realität wieder anpassen. Das geschieht aufgrund des Blasencharakters nicht langsam, sondern meistens entsprechend nachhaltig bis dynamisch. Die Kurse fallen ins Bodenlose. Dann wandelt sich die ehemalige Gier in Angst, und es kommt in vielen Fällen zu einer Übertreibung nach unten. Durch die einbrechenden Kurse werden fast alle Wirtschaftsbereiche betroffen. Es entsteht ein perfekter großer Börsencrash.
Phase 2: Die Reaktion der Notenbanken
Auf diesen Crash reagieren die Notenbanken, in dem sie billiges Geld anbieten. Das ist auch sinnvoll, um die Folgen des Crashs abzumildern. Schließlich werden in so einem Crash Billionen „vernichtet“. Die dadurch entstehenden monetären Löcher müssen gefüllt werden.
Hiermit sind nicht nur die Anleger gemeint, die auf einmal viel weniger Geld zur Verfügung haben, um zu konsumieren. Nein, vielmehr trifft es auch die Unternehmen, die zuvor aufgrund ihrer hohen Bewertung Kredite erhalten haben, die nun nicht mehr gerechtfertigt sind. Neue Kredite werden nicht mehr vergeben, die Investitionen sinken dramatisch mit entsprechenden Folgen für die Gesamtwirtschaft. Das führt zu Firmenpleiten, mit denen dann auch weitere Kredite und Werte „vernichtet“ werden. Wie gesagt, hier muss billiges Geld her, das einem Teil der Wirtschaft Notfallmaßahmen ermöglicht und einem anderen das Überleben sichern kann. Nur so kann eine ausufernde Kettenreaktion vermieden werden. Es ist also richtig, die Zinsen in einem Crash dramatisch zu senken. Aber, es hat halt Folgen:
Phase 3: Wohin mit dem Geld oder der Immobilienboom
Die institutionellen und privaten Anleger flüchten in dieser Zeit logischerweise aus den Aktienmärkten. Doch die Zinsen sind niedrig, Staatsanleihen machen kaum Rendite. Die durch den vorherigen Boom Rendite gewohnten Anleger suchen sich eine neue Investitionsmöglichkeit: Hier bietet sich (zum Beispiel) der Immobilienmarkt an.
So entsteht eine Immobilienblase. Da der Immobilienmarkt eine Branche ist, die in der Wirtschaft eines Landes sehr weit verzweigt ist, kann ein Boom des Immobilienmarktes zu einem starken wirtschaftlichen Aufschwung führen. Es entsteht also nach dem Crash ein neuer Boom, der allerdings, wenn man es genau betrachtet, lediglich monetär getrieben ist. Dem Immobilienmarktboom fehlt nämlich die fundamentale Grundlage (das wäre zum Beispiel bei einer stark wachsenden Bevölkerung der Fall).
Mit anderen Worten, durch die Notfallmaßnahme der Notenbanken „niedrige Zinsen“ entsteht eine neue Blase – die auch irgendwann platzen muss, weil sie sich zu weit von der fundamentalen Realität entfernt. Und zwar genauso, wie schon zuvor die Aktienmarktblase. Die Immobilien werden derart überteuert angeboten, dass irgendwann fast nur noch Spekulanten sich gegenseitig Häuser zu immer teureren Preisen verkaufen. Die Relation zur Wirklichkeit geht verloren. Auch diese Übertreibung muss logischerweise abgebaut werden und das geschieht, wie so oft bei solchen Blasen, durch einen Crash (siehe oben).
Phase 4: Der Bankencrash
Die meisten dieser Immobilien sind natürlich kreditfinanziert. Die Kredite werden über die Immobilien gesichert. Fallen nun die Immobilienpreise in einem Crash dramatisch, geht die Deckung der Kredite verloren. Die Banken haben auf einmal viele Kredite, die nicht mehr gedeckt sind. Auch Zwangsversteigerungen helfen da nicht mehr, weil die Preise ins Bodenlose fallen und die Immobilien zuvor überteuert gekauft wurden. Die Banken geraten aufgrund der vielen ungedeckten Kredite ebenfalls in Schieflage. Es kommt zu einem Bankencrash.
Phase 5: Kreditmarktklemme und Staatspleiten
Um einen Bank-Run (wenn alle gleichzeitig ihr Geld von den Banken abheben wollen, weil sie befürchten, dass die Banken bald kein Geld mehr haben) zu verhindern, springen die Staaten ein und stützen die Banken. Das macht auch Sinn, jedes andere Szenario wäre ungleich dramatischer. Gleichzeitig leidet die Vergabe der Kredite, weil die Banken kein Risiko mehr eingehen können. Die Staaten springen auch hier ein und versuchen durch Konjunkturprogramme u.Ä. die Wirtschaft zu stützen. Das funktioniert auch zunächst, doch durch die hohen Schulden, welche die Staaten aufnehmen müssen, um diese Maßnahmen zu finanzieren, gerät die Staatschuldenproblematik auf einmal in den Fokus der Anleger. Und das hat wiederum dramatische Folgen: Die Zinsen steigen und die Gefahr von Staatspleiten wächst. Zu diesem Zeitpunkt sind die Anleger derart verunsichert, dass sie nur noch in sichere Häfen investieren. Da der Immobilienmarkt am Boden ist, bleibt nur noch Gold. Und mit den Banken- und Staatskrisen erreicht die letzte Blase, nämlich die Goldpreisblase, ihren Höhepunkt.
Interessanterweise ist diese 5. Phase aber dann auch die letzte Phase eines Krisenzyklus. Mit einem Bankenkrise und drohenden Staatspleiten endet eine meist rund 15jährige Krise.
Die Logik der Krise
Ich habe diesen Verlauf einmal stark verkürzt und auf das Wesentliche reduziert, um deutlich zu machen, wie unweigerlich verschiedene Entwicklungen sind. Nur über diese Aufbereitung kann man erkennen, dass es tatsächlich eine gewisse Logik in dem Ablauf der Krise gibt und man sieht auch, dass wir eigentlich immer noch in der gleichen Krise sind, die im März des Jahres 2000 gestartet ist.
Natürlich sind die oben beschriebenen Phasen an die aktuelle Krise in den USA seit dem Jahr 2000 angepasst. Aber sie tauchen in verschiedenen Variationen vergleichbar immer wieder in den großen Seitwärtsbewegungen der Börsen auf.
Alles wieder vergessen…
Ein Problem dabei ist, dass zwischen diesen Krisen und den Boom, wie hier mehrfach schon beschrieben, meist mindestens 15-20 Jahre liegen und damit eine ganze Generation von Anlegern und Wirtschaftsjournalisten bereits ausgewechselt ist. Und natürlich ist vieles auch immer wieder etwas anders. Und so beginnt alles immer wieder von vorne und nur Wenige erkennen die dahinter liegenden typischen Prozesse.
Aktuelle Situation
Für uns heißt das, dass wir uns mit der Bankenkrise 2008/9 und der aktuellen Staatsverschuldungskrise tatsächlich am Ende der Folgen einer dramatischen Überbewertung der Aktien im Jahre 2000 befinden. Sofern es nicht zu einem völligen Zusammenbruch kommt (und diese Gefahr ist gerade am Ende einer solchen Krisenphase durchaus gegeben) werden wir die aktuelle Krisenphase bald, also in wenigen Jahren, überwunden haben. Das ist das einzig Erfreuliche an der aktuellen Situation. Und glauben Sie mir, wenn diese nun schon 14 Jahre andauernde Seitwärtsbewegung im DAX zu Ende geht, mache ich drei Kreuze….
Hoffen wir, dass es nicht mehr allzulange dauert. Denn wenn das geschieht, wird Börse auch wieder richtig Spaß machen, allerdings nur denjenigen, die bis dahin durchgehalten haben und immer noch mitspielen. Aber so ist Miss Börse, sie belohnt immer nur diejenigen, die geduldig sind und weiterkämpfen.
Viele Grüße
Jochen Steffens